Matura: Warum eine zentrale Prüfung auch nicht gerechter ist
Jedes Jahr das gleiche Spiel: Kaum werden die Ergebnisse der Zentralmatura veröffentlicht, hagelt es Kritik. Und wer die Ergebnisse der Mathematik-Matura an den berufsbildenden höheren Schulen (BHS) sieht, hat allen Grund, am System zu zweifeln.
Erschütternd ist weniger die Tatsache, dass 17,6 Prozent sie nicht geschafft haben – die Ergebnisse sind in den AHS seit Jahren ähnlich. Zwar wurden erst 20 Prozent der Arbeiten ausgewertet. Erstaunlich ist dabei, dass 43,5 Prozent einen Vierer haben. Einser (5,7 Prozent) und Zweier (13,3 Prozent) sind hingegen die Ausnahme. Die Durchschnittsnote Drei erreichen dagegen gerade einmal 19,8 Prozent.
Im Vorjahr waren die Ergebnisse viel besser. Sind die Schüler dümmer geworden? „Sicher nicht“, sagt Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann von der Uni Wien. Er ärgert sich über die Form der Zentralmatura, weil Wissenschaftler von vornherein auf die Probleme einer punktuellen Prüfung aufmerksam gemacht hätten: „Dass es von Jahr zu Jahr Schwankungen gibt, ist völlig normal – es gibt keine Möglichkeit, eine Prüfung so zu konstruieren, dass sie für alle gleich fair ist.“
Allerdings, so meint Andreas Vohns vom Institut für Didaktik der Mathematik an der Uni Klagenfurt: „Früher war es noch weniger fair und vergleichbar.“ International gebe es verschiedene Ansätze, die Noten gerechter zu machen – die aber in Österreich nicht einmal diskutiert werden. Sechs Wege, wie die Matura fairer werden könnte:
Vorjahreszeugnisse Beispiel Deutschland: „Dort werden die Leistungen der letzten beiden Schuljahre in die Maturanote einbezogen. Ist der Unterschied zur Zeugnisnote zu groß, gibt es eine weitere Prüfung“, sagt Vohns.
Teilzentrale Prüfung Ein Mix aus zentralen und lokalen Tests hätte Vorteile: Im differenzierten österreichischen Schulsystem kann mehr auf die standortspezifischen Fragestellungen eingegangen werden. Und das ganze Wohl und Wehe hängt nicht von einer Prüfung ab. Hopmann ärgert sich über die Art und Weise, wie auf die Matura reagiert wird: „Da werden Bildungslaufbahnen an einem Tag zerstört. Was Kinder und Familien über Jahre aufgebaut haben, wird mit einer Prüfung vernichtet.“
Verschiedene Schulformen, gleiche Matura Vom HTL-Absolventen bis zur Kindergartenpädagogin müssen alle BHS-Schüler die gleichen Grundkompetenzen bewältigen. Für Vohns ist das insofern absurd, „als von den AHS-Absolventen andere Kompetenzen abgefragt werden – am Ende erhalten aber alle die Berechtigung, an einer Uni zu studieren. „Andernorts ist es üblich, dass verschiedene Fächer auf verschiedenen Niveaus abgeprüft werden.“
Dass so viele Probleme mit den Grundkompetenzen haben, kann viele Ursachen haben (Grundkompetenzen werden im ersten Teil geprüft, wer da positiv hat, hat zumindest ein „Genügend“, Anm.): „Entweder sind die Themengebiete zu breit oder es muss präziser gesagt werden, was gelernt werden muss“, so Vohns. Dass heuer die Matura in Mathe so schlecht ausgefallen ist, kann noch einen anderen Grund haben: Bisher mussten nur die HTL-Schüler schriftlich in dem Fach maturieren – alle anderen BHS-Schüler konnten sich zwischen mündlich und schriftlich entscheiden. Heuer traten sehr viele schriftlich an, weshalb der Notenschnitt sich auch verschlechterte.
Die Lehrpersonen „Manche arbeiten noch so wie vor 20 Jahren. Da muss man die Lehrerweiterbildung verändern“, meint Vohns. Doch aus bildungswissenschaftlicher Sicht ist das keine einfache Sache: „Wir wissen, dass sich Unterrichtstraditionen trotz Reformen oft sehr lange halten“, sagt Hopmann. Zudem gibt es eben Pädagogen, die ihr Handwerk beherrschen und solche, die es nie beherrschen werden. Doch auch Direktoren halten an Traditionen fest. In Österreich ist es üblich, dass ein Lehrer eine Klasse die ganze Oberstufe begleitet. Falls dieser nicht unterrichten kann, hat die gesamte Klasse das Nachsehen. Eine Matura ist aber nur dann fair, wenn alle zuvor den gleichen Unterricht genossen haben.
Textlastige Aufgaben Wer ein Blick in die Aufgaben wirft, merkt bald: Es gibt heute mehr Textaufgaben als früher. „Wir wissen, dass da schon eine kleine Veränderung der Formulierung zu unnötigen Verständnisproblemen führen kann“, so Vohns.
Notenschlüssel Heuer wurde in Österreich im Vorhinein „eine kleine Veränderung des Notenschlüssels vorgenommen“, heißt es aus dem Ministerium – zum Nachteil der Schüler. Vielleicht sollte man sich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen, wo der Korrekturschlüssel ans Ergebnis angepasst wird, sodass es nicht zu großen Schwankungen kommt. Die typisch österreichische Lösung ist jetzt die Kompensationsprüfung: Ein Hintertürl, bei der „am Ende eine sozial verträgliche Durchfallquote zustande kommt. So lügt man sich in die Tasche“, meint Vohns.