Lebenszufriedenheit: Ab 50 geht es bergauf
Von Ernst Mauritz
Sie sind zwischen 25 und 50 und unglaublich gestresst? Beruf, Familie, vielleicht auch noch Wohnungssuche und Hausbau – alles wächst Ihnen über den Kopf? Dann verzweifeln Sie trotzdem nicht: Es wird besser, ganz sicher – zumindest in den wohlhabenden westeuropäischen Ländern. Das zeigt jetzt eine große britische Studie, die im Fachjournal The Lancet erschienen ist.
Demnach nimmt Lebenszufriedenheit in wohlhabenden Staaten (ausgewertet wurden Daten aus englischsprachigen Ländern) einen U-förmigen Verlauf: In der Jugend ist sie hoch, sinkt dann für mehr als zwei Lebensjahrzehnte ab, um spätestens mit 54 wieder anzusteigen. „In der Jugend stehen einfach der Genuss und das Lebensgefühl im Vordergrund. Aber dann merkt man, dass man für ein dauerhaftes Wohlbefinden auch etwas tun muss. Und dass es nicht immer nur um die kurzfristige Verwirklichung der Lebenszufriedenheit geht“, sagt Priv.-Doz. Stefan Höfer von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck: „Gerade in dieser Phase ab 25, 30 versucht man etwas zu erreichen, sich etwas zu schaffen – von dem man sich dann erhofft, dass es einen nachher glücklicher macht. Und dafür nimmt man einiges in Kauf.“ Wichtig sei es, sich bewusst für bestimmte Ziele zu entscheiden und diese langfristig zu verfolgen: „Das hilft, auch Phasen zu überstehen, in denen es nicht so rosig ist.“
Dafür könne man dann im etwas fortgeschritteneren Alter das Erreichte besser genießen. Dies treffe aber nur auf die wohlhabenden Länder zu: „In anderen Regionen versuchen die Menschen genauso, solche Ziele zu erreichen, aber aufgrund der schlechten ökonomischen Lage gelingt es viel häufiger nicht – das könnte erklären, warum die Zufriedenheitskurven dort weiter absinken.“ Und auch generell auf einem viel niedrigeren Niveau verlaufen.
Hand in Hand
Das sieht einer der Studienautoren, Andrew Steptoe, ebenfalls so: „Geld ist keine Garantie für Glück – aber es sieht so aus, dass das Wohlbefinden mit dem wirtschaftlichen Erfolg Hand in Hand geht.“ Darüber hinaus ist in ökonomisch schwächeren Ländern vielfach das Gesundheitssystem löchriger – was sich im Alters besonders negativ auswirkt.
Um aus einem „Lebenszufriedenheitstief“ wieder herauszukommen, sei ein realistischer Blick auf die eigenen Grenzen wichtig, betont Psychologe Höfer: „Wobei das nicht heißt, dass man ab 50 keine großen Ziele mehr haben kann. Der Google-Manager, der einen Sprung aus einer Höhe von mehr als 41 Kilometern absolviert hat, ist 57. Es gibt eben Menschen mit sehr weiten Grenzen – egal, wie alt sie sind.“
Österreich war in der aktuellen Lancet-Studie nicht vertreten. Doch im Vorjahr kam eine Umfrage des Marktforschungsinstitutes Nielsen im Auftrag der Allianz Gruppe zu ähnlichen Ergebnissen: Demnach sind die Österreicher im Alter zwischen 56 und 65 Jahren am zufriedensten. Den größten Stress verspürt hingegen die Altersgruppe der 26- bis 35-Jährigen. Auf einer zehnstufigen Skala zur Bewertung der Lebensqualität errechneten die Studienautoren unter den 1000 Befragten einen Wert von 8,05 – auch das entspricht ziemlich dem Wert der Lancet-Studie für englischsprachige Länder.
Frauen sind übrigens etwas glücklicher als Männer – und trotz aller Belastungen sind Berufstätige zufriedener als Nicht-Berufstätige. Der Lebenswert steigt übrigens auch mit der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen – solange diese vier nicht überschreitet.
Laut der Umfrage ist der Beruf nur für drei Prozent der Befragten der wichtigste Lebensbereich.
Wer regelmäßig in den Ratgeber-Abteilungen der Buchhandlungen stöbert, weiß: kein Thema ist so präsent wie Glück. Glück im Alltag, Glück in der Liebe, Glück im Job. Was bedeutet Glück? Wie finde ich es? Und, noch wichtiger – was muss ich tun, damit es mich nicht verlässt?
Fragen, die sich die Menschen eigentlich nicht zu stellen bräuchten, findet Hans-Otto Thomashoff. Der Psychiater und Psychoanalytiker plädiert dafür, Glück als Lebensziel Nummer 1 zu ersetzen. Und zwar durch Zufriedenheit. "Alle Menschen wollen glücklich sein. Und sitzen dabei einem Irrglauben auf: Glück ist flüchtig. Anders die Zufriedenheit. Zufriedenheit ist das eigentliche Glück. Sie kann von Dauer sein", sagt der gebürtige Deutsche, der in Wien eine Praxis betreibt. Warum und wie das gelingt, beschreibt Thomashoff in seinem neuen Buch "Ich suchte das Glück und fand die Zufriedenheit – Eine spannende Reise in die Welt von Gehirn und Psyche".
5 Quellen für mehr Zufriedenheit
Zufriedenheit hat ein Image-Problem: Sie ist nicht sehr sexy. Das Wort allein vermittelt keine ekstatischen Glücksgefühle, keinen Kick. "Zufrieden sein" klingt unspektakulär, ein wenig nach Stillstand. Nach altem Opa, der im Schaukelstuhl wippend auf sein Leben zurückblickt.
Glückssuche stresst
Dabei hat die Hirnforschung längst bestätigt, dass Glück im Gegensatz zu Zufriedenheit kein dauerhafter Zustand sein kann. Thomashoff liefert die biochemische Begründung: "Glück wird von dem Transmitter (ein Botenstoff, Anm.) Dopamin gesteuert, der dann ausgeschüttet wird, wenn ein positives Ereignis erwartet wird. Zuerst gibt’s ein kurzes Feuerwerk, dann verebbt das Ganze. Wenn ich diesem Glück dauernd nachhetze, bin ich irgendwann gestresst und keineswegs zufrieden."
Ist man zufrieden, tritt ein "Belohnungseffekt" ein, wenn die Bedürfnisse von Körper und Psyche gestillt sind. Dieser Effekt wird durch Endorphine und Morphine (körpereigene Schmerzmittel) ausgelöst und dauerhaft hergestellt. "Zufriedenheit bedeutet, etwas erreicht zu haben, in guten Beziehungen zu leben, und das dauerhaft."
Der Psychiater erläutert, welche seelischen Bedürfnisse für ein zufriedenes Leben gedeckt sein müssen. Zwei essenzielle Bausteine gibt es, eine wurde schon erwähnt: gute, stabile Beziehungen pflegen, idealerweise von Geburt an, und, zweitens, aus eigenem Antrieb etwas bewirken. "Das führt im Gehirn eher zu einem Belohnungseffekt als der reine Genuss."
Der dritte Baustein ist nach Thomashoff ein ausgeglichener Stresshaushalt. "Wenn ich diese drei Bereiche abdecke, ergibt sich ein gutes Leben von selbst. Die oft gepriesene Suche nach dem Sinn des Lebens erübrigt sich. Ich habe festgestellt, dass bei den Leuten, die nach Sinn suchen, einer dieser drei Bereiche nicht passt."
Stimmungskiller
Wer zu viel Stress hat, sollte sich fragen: Wie stressempfindlich bin ich? "Manche Leute haben ein dickes Fell – wahrscheinlich jene, die früher eine stabile Beziehung zu jemandem hatten." Wer weniger stress-resistent ist, muss achtsamer mit seiner Belastbarkeit umgehen. Thomashoff, prägnant: "Pausen schaffen, Stressfaktoren strukturieren".
Bei ewig Unzufriedenen findet sich fast immer das Fehlen einer verlässlichen Bindung in ihrer frühen Kindheit, sagt Thomashoff. Vor allem, wenn es Schockerlebnisse gab. "Die Killer der Zufriedenheit sind Konflikte und unverarbeitete Traumata. Ein Trauma ist ein so heftiges Erlebnis, dass die Gefühle zum Zeitpunkt des Erlebten nicht verdaut werden können. Sie können aber jederzeit hervorbrechen. Menschen, die so ein Trauma erlitten haben, haben eine deutlich erhöhte Stressempfindlichkeit."
Bedeutet Zufriedenheit Stillstand im Kopf? Thomashoff: "Keineswegs. Zufriedenheit rekrutiere ich ja aus einem lebendigen Beziehungsleben. Zudem will man ja immer etwas Neues aktiv bewirken. Das ist das Gegenteil von Stillstand!"