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Neue Hoffnung für Patienten mit Leukämie

Mai 2010: Bei der fünfjährigen Emily Whitehead aus Pennsylvania, USA, wird Akute Lymphatische Leukämie (ALL) diagnostiziert – die mit rund 80 Prozent aller Fälle häufigste Leukämieform im Kindesalter. Bei Emily bleiben sowohl Chemotherapien als auch eine Knochenmarkstransplantation erfolglos – jedes Mal kommt die Krankheit zurück. Darauf versuchten es die Ärzte mit einer neuen Therapie: Sie entnahmen 2012 Emily weiße Blutzellen und veränderten einen Zelltyp (T-Lymphozyten), sodass sie speziell die Krebszellen erkennen – und zerstören.

Seit vier Jahren frei von Krebszellen

Seit vier Jahren sind bei Emily keine Krebszellen mehr nachweisbar. Auch am St. Anna Kinderspital in Wien sind bereits zwei Kinder mit dieser Methode behandelt worden: "Es geht ihnen gut, die Ergebnisse sind bis jetzt sehr positiv", sagt die Hämatologin Univ.-Prof. Christina Peters.

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"Die Behandlung der akuten lymphatischen Leukämien bei Kindern ist eine Erfolgsgeschichte. Mit einer intensiven Chemotherapie werden 85 Prozent der Kinder gesund." Eine Stammzelltransplantation hilft dem größten Teil der übrigen 15 Prozent. Wo beides nicht hilft, sind die neuen Immuntherapien eine Hoffnung – auf höhere Heilungschancen und auch auf weniger Nebenwirkungen. Darunter auch Antikörper mit zwei "Sonden: "Die eine erkennt die Leukämiezellen, die andere aktiviert die Abwehrzellen der Patienten."

Keine Wunder

Das Ziel sei es, wo dies möglich ist, die Chemotherapie zu ersetzen oder zu reduzieren. "Unsere Botschaft ist: Es gibt heute neue Möglichkeiten, aber eine hundertprozentige Aussicht auf Erfolg gibt es auch heute nicht." Denn die Entwicklung sei immer auch von Rückfällen geprägt: "Es gibt sicher Hoffnung, aber keine Wunder", betont Hämatologin Peters.

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Große Fortschritte gibt es aber auch bei der Therapie von Leukämien und bösartigen Lymphomen (Vergrößerungen von Lymphknoten) bei Erwachsenen, sagt Univ.-Prof. Ulrich Jäger von der MedUni Wien / AKH Wien. Verschiedene Antikörper erkennen unterschiedliche Oberflächenmerkmale der Krebszellen – und lösen einen Angriff des Abwehrsystems aus. Bei bestimmten Leukämieformen (chronische lymphatische Leukämie, chronische myeloische Leukämie) gehe die Entwicklung sogar in Richtung chemotherapiefreier Behandlungen. "Wir haben hier sehr wirksamen neue Medikamente. Wir evaluieren gerade, ob wir die Chemotherapie bei diesen Leukämieformen in Zukunft noch benötigen."

Therapie aussetzen

Auch das (vorübergehende) Aussetzen einer Therapie – der Substanz Imatinib bei der chronischen myeloischen Leukämie – und das genaue Überwachen des Krankheitsverlaufs könnten eine künftige Entwicklung sein. Jäger: "Wir können heute rund die Hälfte der erwachsenen Leukämiepatienten heilen – bei den anderen Patienten die Lebenszeit teilweise deutlich verlängern."

Bei bestimmten Lymphom-Patienten, die auf andere Therapien nicht mehr angesprochen haben, hätte sich ebenfalls bereits die neue Therapieform mit den veränderten T-Abwehrzellen bewährt. Zehn Erwachsene in Österreich seien im Rahmen einer internationalen Studie damit bereits behandelt worden – bei einigen sei die Krankheit seit drei Jahren nicht wieder aufgetreten.

Laut einer internationalen Studie liege die Erfolgsrate bei rund 60 Prozent.

Multiples Myelom

Auch beim multiplen Myelom (geht vom Knochenmark aus, es bilden sich bösartig entartete Plasmazellen, die die normale Blutbildung im Knochenmark zunehmend beeinträchtigen) gibt es Fortschritte – wenngleich auch hier noch nicht alle Patienten profitieren: Mehrere Präparate mit verschiedenen Wirkmechanismen "sind mindestens so effektiv wie die Chemotherapie", sagt Jäger.

Die Therapie von Erkrankungen des blutbildenden Systems wird auch immer individueller: Am Wiener AKH / MedUni Wien werden Testverfahren etabliert, die 400 verschiedene Gene der Krebszellen sequenzieren).

Forschung an der Medizinischen Universität Wien

In einem Forschungsprojekt wird an der MedUni Wien gemeinsam mit dem Forschungszentrum für molekulare Medizin (CEMM) aber noch ein anderer Ansatz getestet: Krebszellen werden im Labor mit 140 verschiedenen Medikamenten in Kontakt gebracht – nach 24 bis 36 Stunden zeigt sich, wie gut sie auf einzelne Wirkstoffe ansprechen. Jäger: "Das ist für Patienten interessant, bei denen Standardtherapien nicht mehr wirken. Für mehrere Patienten konnten wir damit bereits eine Therapie finden." Die Diagnostik werde in Zukunft noch viel entscheidender. "Es gibt eine Vielzahl an Subformen. Und bei jeder ist die Therapie eine andere."

Info: Gesundheitstalk am 25. Jänner 2017

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Thema: Bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems (Knochenmark, lymphatisches System) sind das Thema des Gesundheitstalks am Mittwoch, 25.1., 18.30 Uhr (versehentlich wurde in einer Beilage Samstag als Veranstaltungstag genannt). KURIER-Ressortleiterin Gabriele Kuhn spricht mit den Hämatologen Univ.-Prof. Ulrich Jäger (MedUni Wien), Univ.-Prof. Christina Peters (St. Anna Kinderspital) und Dipl.-Ing. Thomas Derntl, einem Patienten mit Multiplem Myelom.

Veranstaltungsort: Van-Swieten-Saal der Medizinischen Universität Wien, Van-Swieten-Gasse 1a (Ecke Währinger Str.), 1090 Wien. Veranstalter: KURIER, MedUni Wien und Novartis.

Es begann 2011: Der Techniker Thomas Derntl, damals 47, verspürte starke Rückenschmerzen. Ein Orthopäde hatte ihn fit gespritzt. Auf einer Auslandsreise wurden die Schmerzen unerträglich: „Ich dachte, es ist ein Bandscheibenvorfall.“ Zurück in Wien bekam er die Diagnose „Multiples Myelom“ – eine Krebserkrankung des Knochenmarks.

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Derntl wurden eigene Stammzellen entnommen, von anderen Zellen (darunter bösartigen) getrennt und vermehrt. Nach intensiver Chemotherapie wurden ihm die Stammzellen transplantiert. Er hatte Glück: Seit damals ist sein Krankheitszustand stabil – und er kann in Teilzeit seinen Beruf ausüben: Heute engagiert er sich in der Myelom Selbsthilfe Österreich: Etwa für die Wiedereingliederung von Menschen mit Krebs in den Beruf nach langem Krankenstand. Teilzeitmodelle seien sinnvoll: „Aber wenn in einer Niedriglohnbranche jemand von einem 20-Stunden-Job nicht leben kann, muss man auch nach Möglichkeiten eines finanziellen oder sonstigen Ausgleichs suchen.“

Leukämie: Bösartige Erkrankung des Knochenmarks. Es kommt zu ungehemmter Bildung von weißen Blutkörperchen.

Viele Formen: Nach dem Typ der bösartigen Vorläuferzellen wird zwischen myeloischer (von Myelo-blasten ausgehender) und lymphatischer (von Lympho-blasten ausgehender) Leukämie unterschieden.