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Nur nicht die Nerven verlieren

Der eine gerät schon aus der Fassung, wenn er im Bus angerempelt wird – dem anderen merkt man nicht einmal an, dass er tags zuvor einen Autounfall hatte.

Wie wir mit schwierigen Situationen umgehen und Herausforderungen des Lebens meistern, ist zum Teil genetische Veranlagung. Aber auch Umweltbedingungen und das soziale Umfeld spielen eine große Rolle, sagt Prof. Bengt Lindström von der norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie im Gespräch mit dem KURIER.

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Der Gesundheitswissenschaftler erklärt, warum Menschen in Kriegsgebieten widerstandsfähiger sind und warum Stress nichts Negatives ist. Er verrät auch, warum wir stets das große Ganze sehen müssen, um mit kleinen Schwierigkeiten besser umgehen zu können.

KURIER: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker – Prof. Lindström, macht ein schwieriges Leben die Menschen widerstandsfähiger?

Prof. Bengt Lindström: Im Leben geht es immer um Herausforderungen, denen wir begegnen und wie wir damit umgehen. Eine lebensverändernde Situation wie eine Scheidung kann eine sehr negative Erfahrung sein, aber es ist wichtig dabei zu erkennen, wie dieser Prozess abläuft und wie es weitergeht. Wenn ein Elternteil seinem Kind in dieser schwierigen Situation erklärt, was gerade passiert, wird es den Prozess gut verarbeiten und sich genauso gut entwickeln wie jedes andere Kind. Das wissen wir heute von vielen Scheidungskindern.

Könnte man daraus schließen, dass Scheidungskinder widerstandsfähiger sind?

Nein, kann man nicht. Aber ich erkläre es mit einem anderen Beispiel: In einer instabilen Gesellschaft, die mit vielen Naturkatastrophen oder einem Krieg konfrontiert ist, werden die Menschen widerstandsfähiger. Auch, wenn sich das nicht verallgemeinern lässt. Wir wissen trotzdem, dass diese Menschen besser mit Schwierigkeiten umgehen können – sie schöpfen aus einem größeren Repertoire von Werkzeugen, um mit Herausforderungen umzugehen.

Wie lässt sich diese Widerstandskraft beeinflussen und verbessern?

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Man kann seine Resilienz trainieren. Wir wissen aus Studien mit Zwillingen, dass Resilienz zu etwa 40 Prozent genetisch bedingt ist. Und Frauen sind generell etwas widerstandsfähiger als Männer. Die Gene sind aber im Laufe unseres Lebens beeinflussbar – Umweltbedingungen und der soziale Einfluss wirken sich stark aus. In unserer schnelllebigen Gesellschaft handeln wir oft, ohne darüber nachzudenken. Es wird oft darüber geredet, mehr zu tun und endlich zu handeln – doch ich denke der nächste Schritt ist zunächst Reflexion, darüber nachdenken, was die Konsequenzen des Handelns sind. Wir werden diese Reflexion in Zukunft viel öfter brauchen, weil die Welt sich zu schnell bewegt und wir oft zu oberflächlich durchs Leben gehen.

Wie kann das bei Stresssituationen im Alltag aussehen?

Bei Resilienz geht es darum, wie man eine neue Situation, die Stress verursacht, in seine eigenen Erfahrungen einbetten kann. Kann man eine Lösung in seinem eigenen Erfahrungsschatz finden? Gibt es jemanden im Umfeld, der dabei helfen kann?

Erfahrungen, die man im Laufe seines Lebens macht, hängen zusammen – es geht darum, sie als zusammenhängendes Netzwerk in einem Prozess zu sehen statt als einzelne Hürden.

Stress ist hierbei nichts Negatives. Alles im Leben verursacht irgendeine Form von Reaktion – das kann Stress oder etwas anderes sein. Ein erfahrener Mensch kann in einer neuen Situation alles Unwichtige ausblenden und schnell erkennen, worum es wirklich geht – was ist neu an der Situation, wie kann ich damit umgehen und wenn nicht, wer kann mir dabei helfen. Vergleichen Sie das mit einer Situation, wo jemand sich ein Bein bricht oder sich verliebt: Was habe ich gemacht, wie bin ich damit umgegangen, wen habe ich um Hilfe gebeten?

Sie sagen, es geht um den Prozess, nicht um einzelne Momente – inwieweit hat Resilienz damit zu tun, wie gut man in der Kindheit gelernt hat mit neuen Herausforderungen umzugehen?

Wenn man als Kind lernt, mit schwierigen Situationen umzugehen, sich selbst Zeit zu geben darüber nachzudenken, welche Auswirkungen das hat und eine Lösung zu finden. Es gilt, darüber zu reflektieren, was man von bisherigen Erfahrungen schon weiß und die neue Situation auf Basis dieser Erfahrungen zu meistern.

Viele Menschen beschäftigen sich immer wieder mit der Frage, warum passiert das gerade mir?

Es fällt uns leicht, uns immer wieder selbst die Schuld für Dinge zu geben, die passieren. Es ist wichtig, das große Ganze zu sehen. In so einer Situation hilft es, mit anderen Menschen zu reden, die einem helfen, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.

Jutta Heller beschreibt Resilienz (Widerstandskraft) mit dem Stehaufmännchen-Prinzip: „Wenn es umgefallen ist, steht es immer wieder auf und kommt zurück in die Balance. Menschen mit dieser Fähigkeit haben Handlungsmuster zur Krisenbewältigung entwickelt, die ihnen helfen, mit Belastungen und Risiken gut umzugehen.“

In ihrem Buch „Resilienz – 7 Schlüssel für mehr innere Stärke“ definiert sie sieben Eigenschaften, die trainiert werden können, um Herausforderungen besser zu bewältigen. Dazu gehören erstens Akzeptanz – anzunehmen, was gerade geschieht und zweitens Optimismus – darauf zu vertrauen, dass es besser wird.

Selbstwirksamkeit, drittens, ist wichtig, um auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und mit Verantwortung (viertens) meint Heller, aus der Opferrolle herauszutreten und seine eigenen Grenzen zu kennen.

Beim fünften Punkt, Netzwerkorientierung, geht es darum, offen für Hilfe von außen zu sein. So ist man auch offen für die zwei letzten Kriterien, Lösungs- und Zukunftsorientierung, die sich darum drehen, aktiv zu werden, seine Wünsche zu entdecken und sie auch zu realisieren.

„Veränderungen sind möglich, wenn wir anfangen, wieder Verantwortung für unser Leben zu übernehmen“, sagt Heller und gibt in ihrem Buch verschiedene Übungsaufgaben, mit denen die eigenen Stärken erkannt und ausgebaut werden sollen. Gleichzeitig geht es auch darum, die aktuelle Lebenssituation zu analysieren, zu reflektieren und gegebenenfalls schmerzhafte Erinnerungen loszulassen.

Resilienzübungen

Auf Krisenkompetenz hat sich auch das Resilienz–Projekt spezialisiert, das mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums im Internet Informationen und Übungen zu dem Thema anbietet. Ziel ist vor allem, das Thema in die Erwachsenenbildung hineinzutragen. So wurde online eine Datenbank mit verschiedenen Resilienzübungen in diversen Settings zusammengestellt. Die Übungen sind in bis zu sieben Sprachen abrufbar und sollen europaweit Lehrer, Trainer, Psychologen und Therapeuten dabei unterstützen, Menschen zu zeigen, wie sie nach Wendepunkten und Herausforderungen des Lebens möglichst schnell wieder auf die Beine kommen.

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Resilienz – 7 Schlüssel für mehr innere Stärke.“ Von Jutta Heller, erschienen bei Gräfe und Unzer. 192 Seiten, 15,50 Euro.
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