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Vision: eine Pille gegen Metastasen

"Es ist unsere große Vision", sagt der Wissenschaftler Josef Penninger: "Ein Patient mit Krebsmetastasen bekommt eine Pille, die sein Immunsystem aktiviert – und es in die Lage versetzt, die Metastase abzustoßen. Dorthin ist es noch ein weiter Weg, aber dass es theoretisch möglich ist, konnten wir zeigen."

Wissenschaftler des von Penninger geleiteten Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien haben einen neuartigen Mechanismus entdeckt, wie das Immunsystem gegen Metastasen scharf gemacht werden kann – Magdalena Paolino, Postdoc in der Forschungsgruppe von Josef Penninger, ist Erstautorin einer Studie, die im renommierten Wissenschaftsjournal Nature erschienen ist.

Natürliche Killerzellen des Körpers wollen eigentlich Krebszellen bekämpfen. Allerdings: "Von den Tumorzellen erhalten sie das Signal: ,Uns musst du nicht bekämpfen‘", sagt Penninger. Ein Protein (Eiweiß) in den Killerzellen mit dem Namen Cbl-b spielt bei der Weiterleitung dieses Signals eine entscheidende Rolle – und bremst die Aktivität der Abwehrzellen.

Bremse gelöst

"Nature hat unsere Studie wahrscheinlich deshalb angenommen, weil wir zum ersten Mal zeigen konnten, dass diese Bremse gelöst werden kann – und dadurch die Abwehrzellen die Chance bekommen, den Tumor zu erkennen und abzustoßen",so Penninger: "Metastasen werden dadurch kontrollierbar."

Dieses Lösen der Bremse funktioniert mit einem Molekül, das die IMBA-Forscher in Wien gemeinsam mit Kollegen der Max Planck Gesellschaft in Dortmund entwickelt haben: Es schaltet das bremsende Protein in den Killerzellen ab. "Dadurch werden diese sozusagen scharf gestellt und reduzieren in Mäusen signifikant Metastasen von Brusttumoren und Melanomen", sagt Paolino.

Penninger: "Vor ein paar Jahren noch war die Immuntherapie vielfach sehr verpönt – heute investieren auch große Firmen gewaltige Summen, und das Magazin Science hat die Immuntherapie zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2013 gewählt. Dieser Ansatz, das eigene Immunsystem zu stärken, ist sehr sinnvoll. Denn es tötet im Regelfall jeden Tag Krebszellen."

Nur eine Bremse des Immunsystems auszuschalten werde wahrscheinlich nicht genügen: "Die Aufgabe der nächsten Jahre wird sein, vier, fünf solcher Bremsen zu finden. Aber wir haben jetzt eine ganz entscheidende gefunden." Damit wurde auch ein mehr als 50 Jahre altes Rätsel der Krebstherapie gelöst: Bestimmte Medikamente zur Hemmung der Blutgerinnung ("Blutverdünner") reduzieren die Häufigkeit von Metastasen – der Grund war unbekannt. Die Studie hat gezeigt, dass auch diese Präparate die Protein-Bremse lösen. Mit seiner Firma Apeiron will Penninger – wenn möglich noch heuer – eine erste kleine Patientenstudie starten: Krebspatienten werden Abwehrzellen entnommen, die Bremse Cbl-b wird ausgeschaltet, die Zellen den Patienten wieder injiziert: "Ich bin sehr zuversichtlich."

Dass Zelltherapie eine Zukunftshoffnung ist, zeigt auch eine neue Studie von US-Wissenschaftlern: 16 Patienten mit fortgeschrittener Leukämie (B-Zell-Leukämie) wurden Abwehrzellen entnommen. Im Labor wurden diese dann genetisch so modifiziert, dass sie ganz bestimmte Krebszellen erkennen und angreifen.
„Die Ergebnisse sind außerordentlich gut“, sagt Michel Sadelain vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York. Bei 14 der 16 Studienteilnehmer können nach der Behandlung bis jetzt keine Krebszellen mehr nachgewiesen werden, so die im Fachjournal Science Translational Medicine publizierten Ergebnisse. „Zelltherapie ist eine starke Behandlungsmöglichkeit für Patienten, die alle konventionellen Therapien ausgeschöpft haben“, sagt Sadelain. Ob sich der Erfolg dieser Studie auch auf andere Leukämie- bzw. überhaupt andere Krebsformen umlegen lässt, muss allerdings noch untersucht werden. Für einen Routine-Einsatz ist es noch zu früh.

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