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Kräcker statt Eis für Siebenjährige

Zum Frühstück gab’s für Bea heute morgen ein bisschen Obst und Kräcker, erzählt ihre Mutter Dara-Lynn Weiss am Telefon. Das neunjährige Mädchen muss nach wie vor auf sein Gewicht achten. Ein Prozess, der wahrscheinlich nie vorbei sein wird, sagt Weiss im KURIER-Interview.

Vor zwei Jahren wog die Siebenjährige bei 1,32 Meter 42 Kilogramm. Der Arzt stellte Übergewicht fest. Obwohl ihre Mutter betont, dass sich Bea ausreichend bewegte und kein Junkfood bekam war sie adipös – fettleibig.

Um die zehn Kilo abzunehmen, die sie vom Normalgewicht trennten, setzte Weiss ihr Kind auf Diät. Kuchenbüffets waren tabu. Im Coffeeshop nahm sie ihr den Kakaobecher aus der Hand und warf ihn weg, weil er nicht ins Kalorienschema passte. Ihre konsequente Linie schrieb die Mutter in einem Artikel im Vogue-Magazin nieder und erntete scharfe Kritik. Auf diese reagiert sie nun auch in ihrem neuen Buch „Wonneproppen“.

KURIER: Nehmen wir an, Ihre Tochter geht morgen auf eine Geburtstagsparty. Was tun Sie?

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Dara-Lynn-Weiss:Im Idealfall wissen wir schon im Voraus von der Party und können uns auf das Essensangebot – meist Pizza und Kuchen – vorbereiten. Ich würde Bea sanft erinnern, dass sie jeweils nur ein Stück essen darf. Fruchtsaft und Limonade sind tabu. Wenn ich dabei bin, werde ich sie an ihre Grenzen erinnern, wenn nicht, dann hoffe ich das Beste.

Sie ist noch immer auf Diät?

Meine Tochter ist heute normalgewichtig, aber wir haben immer noch Tabellen, mit denen wir ihr Gewicht im Auge behalten. Jetzt, wo sie viel wächst, muss Bea sich damit auch wohlfühlen, zuzunehmen. Es bedurfte einiger Erklärungen, aber das ist ein wichtiger Prozess.

Für Ihre strengen Methoden wurden Sie kritisiert und beschimpft – die Diät sei für Ihre Tochter erniedrigend gewesen.

Die Kritik war sehr schmerzhaft. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger nahm ich sie mir zu Herzen. Ich glaube, kein einziger Kritikpunkt kommt von Eltern, die ein fettleibiges Kind erziehen. Es ist unmöglich, etwas zu verstehen, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Das ist ein wichtiger Teil des Problems: Es ist so furchtbar unangenehm, mit Kindern über Ernährung und Gewicht zu sprechen, dass viele Eltern es nicht tun. Wenn ich Bea ein Dessert verweigerte, war das nicht unmenschlich. Ich tat das, was ich am besten für ihre Gesundheit hielt. Ich bereue nichts.

Auch nicht den Artikel und das Fotoshooting in der Vogue mit Ihrer erschlankten Tochter?

Mir war bewusst, dass mein Artikel eine Diskussion auslösen wird. Aber die Ablehnung und Verachtung, die mir entgegengebracht wurde, waren unglaublich. Ich wollte mit dem Artikel anderen Müttern Mut machen und zeigen, wie schwer es ist, ein übergewichtiges Kind zum Abnehmen zu bringen.

Was war dabei die größte Herausforderung?

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Dass es kein Ende nimmt. Seit Jahren versuchen wir alles, dass Bea ihr Normalgewicht hält. Das ist bis heute ein täglicher Kampf. Es ist einfacher, etwas Unerwünschtes zu tolerieren, wenn es ein absehbares Ende hat. Aber sein Gewicht zu kontrollieren, wenn man übergewichtig oder fettleibig ist, ist ein gnadenloser und fortlaufender Aufwand. Rückschläge sind entmutigend, vor allem für Kinder.

Die Esskultur, speziell in Amerika, ist nicht gerade vorteilhaft für Kinder.

Das kalorienreiche Essen ist für Bea und mich eine große Herausforderung. Die Lebensmittelindustrie ist darauf ausgerichtet, die Menschen dick zu machen. Essen gib es überall und zu jeder Zeit – der Großteil davon ist fett und sehr kalorienreich.

Haben Sie Sorge, dass Ihnen Ihre Tochter später Vorwürfe macht oder eine Essstörung bekommt?

Ich akzeptiere, dass mich meine Kinder wahrscheinlich für manches verurteilen, wenn sie älter werden. Wenn mir Bea vorwirft, dass ich während der Diät nicht so geduldig, ruhig und sanft zu ihr war, hat sie recht. Falls sie einmal übergewichtig wird, an einer Essstörung leidet oder ein schlechtes Körperbild hat, wird sie mein Eingreifen als entscheidenden Faktor sehen. Ich bin aber überzeugt, wenn ich ihr Übergewicht ignoriert hätte, dann wäre sie nicht gesund geworden. Ich hoffe, sie wird das später einmal schätzen.

Lesen Sie am Montag: Was Diät-Camps und Abnehmprogramme wirklich bringen.

Übergewicht und Adipositas (krankhafte Fettleibigkeit) bei Kindern und Jugendlichen sind bereits eine weltweite Epidemie. Beim diesjährigen Forum für evidenzbasierte Gesundheitsförderung und Prävention (EUFEP) in Krems wurden Strategien dagegen diskutiert. Kongress-Präsident Gerald Gartlehner, Donau-Uni Krems: „Das Risiko, an Übergewicht zu sterben, ist inzwischen weltweit größer als an den Folgen von Hunger zu sterben.“

Die Hauptgründe: erhöhter Konsum und ein ständig verfügbares Nahrungsangebot. Just die energiereichsten Lebensmittel sind billig und werden stark beworben. Und: zu Fuß gehen oder Radfahren hat zugunsten von Auto und öffentlichem Verkehr abgenommen.

Boyd Swindburn,Volksernährungsexperte und Leiter eines WHO-Übergewicht-Forschungszentrums an der Deakin University in Melbourne, Australien, kritisiert, dass die Politik unter Druck der Nahrungsmittelindustrie effektive Präventionsmaßnahmen kaum umsetze. Er rät zu einem Steuerzuschlag für Junkfood, dafür keine Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel. In Australien sei Letzteres seit dem Jahr 2000 üblich. Ebenso fordert er Lenkungsmechanismen für Werbung wie in Großbritannien. Man definierte Nahrungsmittel, die nicht beworben werden dürfen. Stark Gezuckertes darf nicht als „gesund“ bezeichnet werden.

Viele Interessen

Wie viele Interessen rund ums Essen mitnaschen, zeigt der Versuch, in Dänemark eine Fettsteuer einzuführen. Lebensmittelindustrie und Verbraucherorganisationen befürchteten Nachteile für dänische Produkte – die Steuer fiel 2013 nach einem Jahr wieder. In den ersten drei Monaten nach Einführung ging der Kauf von fetthaltigen Nahrungsmitteln wie Butter, Margarine oder Öle um bis zu 20 Prozent zurück.

Auf das Gewicht wirkt ebenso die Infrastruktur. Präventivforscher Univ.-Prof. Wolfgang Ahrens, Uni Bremen: „Kinder in Wohnviertel mit einladendem Umfeld und Platz zum Spielen sind körperlich aktiver. Das senkt das Übergewichtsrisiko.“

Das hätte man in einer österreichischen Gemeinde bedenken sollen. 100.000 Euro investierte man in einen Bus vom Bahnhof zur Schule – für einen Kilometer. Gleichzeitig finanziert die Schule ein Projekt für „bewegtes Lernen“. Das Geld wäre in einem Erlebnis-Fußweg oder einem Radweg besser investiert gewesen, sagen die Experten.

Ein Blick nach New York zeigt, dass öffentliche Maßnahmen wirken. In zehn Jahren ging aufgrund von Kalorientabellen in Fast-Food-Lokalen, weniger Salz und Softdrinks sowie 300 km neuer Radwege der Softdrinkkonsum um zwölf Prozent und die täglich aufgenommene Kalorienmenge um 100 kcal zurück. Obwohl schon einiges getan ist: Im März scheiterte Bürgermeister Michael Bloomberg dennoch, XXL-Becher für süße Getränke zu verbieten. Ein Gericht stoppte das Gesetz als „zu überfrachtet und willkürlich“.