Hilfe für Zappelphilipp
Von Ingrid Teufl
Alexandras motorische Defizite fielen erst im Kindergarten auf: Sie konnte unter anderem noch nicht auf einem Bein springen und hatte allgemein öfters Gleichgewichtsprobleme. Die Vierjährige versuchte das durch viel Reden zu kompensieren. Sie befolgte die Regeln im Kindergarten nicht nur minutiös, sondern belehrte auch die anderen Kinder und meldete deren „Vergehen“ sogar. Für ihre Kollegen wurde Alexandra schnell zum ungeliebten „Polizist“. Das Mädchen entwickelte nun auch eine Abneigung, von anderen Menschen berührt zu werden.
„Tritt eine Entwicklungs- oder Wahrnehmungsstörung auf, hat das Kind überhaupt keine Möglichkeit mehr, mit sich selbst in Dialog zu kommen. Es spürt sich sozusagen selbst nicht mehr richtig“, sagt Ulla Kiesling. Das sei dann die Basis für Diagnosen wie „unkonzentriert“, „lernschwach“, „verhaltensauffällig“ bis hin zur heute weit verbreiteten Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS.
Kiesling beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Bewegungstherapien und -pädagogik. Sie hat sich auf die Behandlungsmethode „Sensorische Integration“ (SI, siehe Artikelende) spezialisiert und diese weiterentwickelt. Ihre Methode nennt sich „SI im Dialog“ und bezieht auch die Eltern als aktiven Teil in die Therapiestunden ein. „Vereinfacht gesagt: Ich helfe den Kindern dabei, wieder fühlen zu lernen, etwa ihren Körper, ihre Haut wieder wahrzunehmen. Der Therapeut hat die Rolle eines Vermittlers zwischen dem Kind und seiner Wahrnehmung. Wir zeigen nicht einen Weg, sondern helfen dem Kind, seinen richtigen Weg zu finden.“
Wahrnehmung schulen
In unserer schnelllebigen Welt gehen Kindern Fähigkeiten, die sich im Grunde natürlich entwickeln, zunehmend ab. „Heute müssen wir etwas dafür tun, um normale Wahrnehmungen zu spüren.“ Was ihre Methode von anderen SI-Angeboten unterscheidet, sei der starke Fokus auf den Dialog. „Wenn ein Kind mit sich in Dialog getreten ist – also die Verbindung zu sich hat – spürt es , was es braucht. Das ist der Anfang, wie ein Kind lernt, sich selbst zu regulieren.“ In der Therapie werden vor allem Lern-Spiel-Situationen genutzt. Durch das Spielen mit verschiedenen Materialien und Geräten wie Hängematte, Bälle, Trampolin oder schweren Säcke „entwickelt sich das Kind aus sich selbst heraus“, erklärt Kiesling.
Alexandras Mutter kam auf Anraten der Kindergartenpädagogin zu Ulla Kiesling. „Sie hatte viel Spaß beim ‚Turnen‘, wie sie es nannte“, erinnert sie sich. „Ihr Selbstvertrauen bekam einen großen Schub, weil ihr mit der Zeit Dinge gelangen, die sie sich anfangs gar nicht getraut hat.“ Später fühlte sich das Mädchen, dem Kontakte zu anderen Kindern unangenehm waren, sogar in einer wechselnden Dreier-Gruppe wohl. Heute, mit sechseinhalb Jahren, wundert sich ihre Mutter manchmal noch immer und ist überzeugt, ihr Kind bei ihrer Entwicklung von Selbstständigkeit zu unterstützen. „Aus meiner zurückhaltenden Tochter ist aus eigenen Stücken ein Judo-Kind geworden. Dass sie jemals eine Sportart wählt, in der sie kämpfen und andere berühren muss, hätten wir nie gedacht.“
Methode hilft auch den ganz Kleinen
Technik Sensorische Integration (SI) wurde von Jean Ayres (1920–1988), Psychologin und Ergotherapeutin in den USA, entwickelt. Sie hielt die frühe Sinnentwicklung (schon im Mutterleib) für prägend. Die Basissinne (Gleichgewicht, Haut, Tiefenwahrnehmung) sah sie als Grundlage des Zusammenspiels aller Sinne und allen Lernens.
Anbieter Ulla Kiesling, staatlich geprüfte Sportlehrerin, hat die Methode weiterentwickelt („SI im Dialog“). Sie behandelt in ihren Praxen in Wien und Hamburg Kinder ab dem Alter von sechs Wochen. Infos: www.si-ullakiesling.info. Anbieter der klassischen SI-Methode gibt es in ganz Österreich. Infos unter www.ergotherapeuten.at