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Was man von bisherigen Flucht-Bewegungen lernen kann

Anton B., hat es nach Passail bei Weiz verschlagen. Er – geboren und aufgewachsen im fernen Rava Ruska in der heutigen Ukraine – hatte sich 1942 mit nur 12 Jahren als Küchengehilfe bei der Deutschen Wehrmacht verdingt. Im Tross der Nazis landete er irgendwann als Zwangsarbeiter auf einem steirischen Bauernhof. Sommer wie Winter musste er auf dem Heuboden des Kuhstalls schlafen. Trotzdem stellte er sich bei Kriegsende die Frage, ob er nach Hause zurückkehren wollte. In Erinnerung an die Hungersnöte seiner Kindheit entschied er sich dagegen. Anton B. blieb bis zu seinem Tod in der Obersteiermark.

Niemand half ihm, eine Existenz in der neuen Heimat aufzubauen. Dabei gab es damals durchaus diesbezügliche Bemühungen: "Norwegeraktion" hieß die Initiative, bei der sich Norwegische Europahilfe und Diözese 1951 zusammentaten, um Heimatvertrieben ein Grundstück und Baumaterial zur Verfügung zu stellen, damit die sich Haus und Existenz aufbauen konnten.

"Im Gegenzug mussten diese ehemaligen Zwangsarbeiter – vor allem aus Osteuropa – sich verpflichten, die nächsten zehn Jahre in der Region, in der sie sich ansiedelten, als Landarbeiter zur Verfügung zu stehen. Denn da hatte man einen hohen Arbeitskräftebedarf. Heute würde man sagen, man versuchte, diese Leute in die Gesellschaft zu integrieren", sagt der Historiker Dieter Bacher vom Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, der sich lange mit Migration beschäftigt hat. Jetzt hat er eine Konferenz zum Thema "Flucht – Vertreibung – Integration" mitorganisiert, die heute und morgen in Wien stattfindet.

Aus Geschichte lernen

Dabei gehen heimische und internationale Historiker der Frage nach, inwieweit vergangene Fluchtbewegungen mit der heutigen Situation vergleichbar sind, und ob ihre Analyse bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen – auch der Integration von Flüchtlingen – helfen kann. Betrachtet man Migrationsbewegungen durch die historische Brille, kommt man zum Schluss: "Sie sind für Österreich nichts Neues. Zumindest seit dem Ende des 2. Weltkrieges sind wir beständig mit Fluchtbewegungen konfrontiert. Auch in den Dimensionen." Bacher nennt zwei Beispiele: 1945 kamen auf etwa sechs Millionen Österreicher 1,65 Millionen Flüchtlinge. Und das in einem schwer kriegsgeschädigten Land, in dem die Wirtschaft auf dem Boden lag und die öffentlichen Institutionen nicht funktionierten. Bei der nächsten Krise – dem Ungarnaufstand 1956 – kamen etwa 180.000 Flüchtlinge. "Diese Momentaufnahmen –1945, 1956, aber auch 1968 und 1980 – stellen nur Spitzen dar. Migrationsbewegungen nach und durch Österreich gab es auch außerhalb dieser Zeiten."

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Was aber in der Historie anders war: "Österreich hat sich immer als Erstversorgungs- und Transitland verstanden. Man hat also nie damit gerechnet, dass diese Leute lange bleiben werden", analysiert Bacher und verweist wieder auf die Ungarn-Krise: Der Großteil der Flüchtlinge migrierte nach wenigen Monaten weiter, viele kehrten auch nach Hause zurück, nur sehr wenige blieben in Österreich. Genaue Zahlen seien bis heute nicht bekannt. "Früher ging es daher um Fragen des temporären Asyls oder der ersten Versorgung, der Notunterbringung."

Bevorzugte Ziele der "Displaced Persons" waren USA, Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland, Südamerika oder Südafrika. "Ab der Bosnienkrise Anfang der 1990-Jahre wird Österreich aber auch zum Aufnahmeland. Jetzt sind wir mit Menschen konfrontiert, die bleiben wollen. Damit sind Politik und Gesellschaft massiv gefordert – wer kann dableiben, wer nicht, und wie nehmen wir diese Leute in die Gemeinschaft auf, lauten," sagt der Historiker, "die Fragestellungen."

Zwangsrückkehr

Das sei übrigens bereits 1945 ein Thema gewesen, obwohl man sich das damals nicht eingestanden habe, "denn man dachte, dass die Leute repatriiert werden können oder weiterwandern müssen." Zwangs-Repatriierungen waren die Folge – mit katastrophalen Konsequenzen: Zu Hause erwarteten die Heimkehrer mitunter politische Repressalien. Man erkannte: das kann keine Lösung sein. "Die Westalliierten begannen, mit Hilfsorganisationen Alternativen zu überlegen. Die Folge waren Emigrationsprogramme. Kanada und USA boten so etwas an", sagt Bacher.

Die jetzigen Fluchtbewegung unterscheiden sich aber auch in vielerlei Hinsicht von den historischen, gesteht der Historiker: "So läuft die Kommunikation unter den Flüchtenden ganz anders ab, die Medienberichterstattung ist anders, die Arbeitsmarktlage genauso, die Fluchtwege sind viel länger. Bis zur Bosnienkrise kamen vor allem Nachbarn. Und die haben hier bereits eine gewissen Infrastruktur vorgefunden – viele aus ihrer Heimat waren vor ihnen gekommen, hatten sich hier etwas aufgebaut und konnten mit ihren Netzwerken helfen."

Doch auch damit wird man sich auseinandersetzen müssen. Denn eines steht für den Migrationsforscher Bacher fest: "Österreich war immer mit Flucht-Bewegungen konfrontiert, ist jetzt damit konfrontiert und wird auch weiterhin damit konfrontiert sein."