Kathedralen – Abbilder des Himmels auf Erden
Von Ute Brühl
W enn am Heiligen Abend in den Kirchen Lieder wie "Stille Nacht" oder " O du fröhliche" angestimmt werden, kann sich so mancher dem Zauber dieses Augenblicks nicht entziehen. Selbst Menschen, die nur aus Tradition die Christmette besuchen, sind oft ergriffen.
Dass Kirchengebäude die Menschen in den Bann ziehen, ist kein Wunder, wie Reinhard Gruber, Archivar des Wiener Stephansdoms, weiß: "Genau das sollen sie bewirken. Speziell die großen gotischen Kathedralen des Mittelalters waren als ein Abbild des Himmels auf Erden gedacht und wollten alle Sinne ansprechen. Deshalb steht der Altar als ,Thron Gottes’ im Zentrum des Bauwerks. Lichtdurchflutete Räume, prächtige Gewänder, Chorgesänge rund um die Uhr sowie Weihrauch lassen die Besucher einen Hauch des Göttlichen spüren. Besonders die Menschen im Mittelalter kamen da aus dem ehrfürchtigen Staunen nicht mehr heraus."
Während im Inneren des Domes die Menschen "Gott nah und frei von allem Irdischen sowie von ihren Sorgen und Ängsten sein sollten, konnten sie in der Kirche alles Böse loslassen und loswerden. Symbolisiert wird diese Katharsis zum Beispiel durch die wasserspeienden Fratzen an den Außenwänden", erklärt der Archivar, der den mittelalterlichen Baumeistern großen Respekt zollt. "Diese haben mit unendlicher Geduld an dem Bauwerk gearbeitet."
"Gott sieht alles"
Wie präzise die Handwerker damals waren, hat selbst den Profi erstaunt: "Als der Südturm während der Renovierung eingerüstet war, hatte ich die Gelegenheit, Details des Bauwerks zu bewundern, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Da habe ich entdeckt, wie fein säuberlich alle Stukkaturen, Figuren und Friese gearbeitet sind. Das zeigt, wie gottesfürchtig die Baumeister des Mittelalters waren. Weil sie davon ausgingen, dass Gott alles sieht, haben sie selbst noch im hintersten Winkel ihr Bestes gegeben", sagt Gruber.
Mehr noch: "Allen Handwerkern war bewusst, dass sie die Fertigstellung des Domes nicht erleben werden. Das tat ihrem Eifer aber keinen Abbruch. Sie haben sich wohl als Teil eines großen Ganzen gesehen."
Doch bei aller Religiosität, die die mittelalterlichen Bauherren auszeichnete, war ihnen weltliche Konkurrenz nicht fremd: "Es gab einen richtiggehenden Wettstreit, welche Stadt den höchsten Kirchturm erbaut", berichtet der Archivar. So konkurrierten zum Beispiel Wien und Straßburg lange um den Titel "höchster Turm". Und kurze Zeit hatte Wien dabei auch die Nase vorn. 1433 war der 137 Meter hohe Südturm fertiggestellt, doch gerade einmal vier Jahre später ragte das Straßburger Münster 142 Meter in die Höhe.
Einerseits gab es Konkurrenz, andererseits einen Austausch: Die Bauhütten von Köln, Regensburg, Wien, Prag und Bern spornten sich gegenseitig zu Höchstleistungen an, zeitweise hatten die Wiener die bedeutendsten Baumeister.
Renaissance der Gotik
Im 19. Jahrhunderte erlebte die gotische Bauweise eine Renaissance, und viele Kathedralen wurden neu errichtet oder ausgebaut, wie etwa der berühmte Kölner Dom. In Wien wollte man zeigen, dass man den Kölnern um nichts nachsteht und baute die Votivkirche – nur wenige Meter entfernt vom "Steffl", wie die Wiener den Stephansdom liebevoll nennen. "Es gab sogar Pläne, die beiden Kirchenbauwerke mit einer Prachtstraße zu verbinden", weiß Gruber.
Auch wenn die Baumeister des 19. Jahrhunderts schon andere Techniken kannten und daher bombastischer bauen konnten, haben sie sich doch an eine Regel gehalten: Kein Gebäude durfte in der Residenzstadt höher sein als der Stephansdom. Eine entsprechende Order hatte Kaiser Franz Josef ausgegeben. Der Steffl ist nicht nur das höchste Gebäude der Innenstadt, sondern auch der zentralste Ort der Stadt.
Bürgerkirche
Doch der Stephansdom ist nicht nur die geografische Mitte Wiens. "Er war das Zentrum der Wiener Bürger, was sich daran zeigt, dass die Längenmaße am Haupteingang angebracht waren und nicht wie in anderen Städten üblich an den Rathäusern. Ähnliches kennen wir nur aus Freiburg im Breisgau", sagt der Domarchivar. Dass die Wiener Bürger den Stephansdom als "ihre Kirche" betrachteten, zeigte sich auch noch in anderen Bereichen: "Sie haben die Bauverhandlungen geführt und die Ausführungen überwacht. Viele haben in ihrem Testament bestimmt, dass zumindest ein Teil ihres Vermögens für den Ausbau oder die Restaurierung des Gotteshauses bestimmt ist."
Wiederaufbau
Zum österreichischen Bauwerk schlechthin wurde der Stephansdom allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. "Der Dom war sehr zerstört, immer wieder gab es Brandnester. Ohne dass jemand dazu aufgerufen hätte, schafften Frauen und Kinder den Schutt weg, löschten Feuer und begannen mit dem Wiederaufbau – und das bevor ihre eigenen Häuser wiederaufgebaut hatten", sagt Gruber.
Von Seiten der kirchlichen Würdenträger gab es über diese "Rettungsaktion" Bedenken. "Sie fragten sich, ob man das verantworten könne."
Nach und nach beteiligten sich Verantwortliche aus allen neun Bundesländer am Wiederaufbau des Doms. Bereits 1952 , also nur sieben Jahre nach Kriegsende, waren Langhaus und Chor wieder errichtet. Als die Pummerin in der "Pfarrkirche der Österreicher"– wie Gruber scherzhaft meint – läutete, war das ein historischer Moment.
... die Kirche Saint Denis bei Paris in Frankreich als Gründungsbau der Gotik gilt? In dem 1140 unter Abt Suger begonnenen Umgangschor wurden die ersten spitzbogigen Kreuzrippengewölbe ausgeführt. In Österreich baute man damals noch romanische Kirchen, wie etwa die Ruprechtskirche in Wien, in deren engen Mauern sich die Menschen geschützt und geborgen fühlten.
... das Wort Kathedrale aus dem Lateinischen kommt? Eine Kirche darf sich nur dann so nennen, wenn sie ein Bischofssitz ist. Im Scheitel der Kirche, steht die Kathedra – der Lehrstuhl des Bischofs. Da die Gotteshäuser in Wiener Neustadt oder Maria Saal in Kärnten keinem residierenden Bischof mehr zugeordnet werden, sind sie heute keine Kathedralen mehr.
... was der Unterschied zwischen Kathedrale, Dom und Münster ist? Im deutschsprachigen Raum werden oft alle drei Begriffe als Synonym gebraucht. Ein Münster war ursprünglich eine Kirche, die zu einem Kloster (lat. monasterium) gehört hat.
... was eine Basilika ist? Ursprünglich war das die Bezeichnung für päpstliche Kirchen in Rom. Wobei Rom weit gefasst ist: Auch S. Francesco in Assisi gehört dazu. Später entstand der Begriff der Basilica minor als Ehrentitel, mit dem bestimmte Privilegien verbunden waren. Die Dominikanerkirche in Wien oder die Stiftskirche Mondsee sind solche Basiliken.
... woher das Wort Kapelle stammt? Es geht zurück auf den Heiligen Martin, genauer auf seinen Kapuzenmantel (lat. capella). Die Kirche, in der seine Reliquie aufbewahrt wurde, wurde Kapelle genant, der dortige Priester Kaplan. Der Unterschied zu Kirchen ist, dass dort z.B. nicht das „Allerheiligste“ aufbewahrt wird.