„Ist ein Doktor an Bord?“
Seinen dramatischsten Einsatz hatte der Internist, Not- und Fliegerarzt Joachim Huber auf einem Flug von Moskau nach Wien: „Ein Passagier hatte einen Herzstillstand. Zum Glück war auch noch ein Notfallsanitäter an Bord, zu zweit konnten wir den Patienten wiederbeleben und bis zur unplanmäßigen Zwischenlandung in Minsk stabilisieren.“
Joachim Huber ist ärztlicher Leiter des Programms „Doc on Board“, das Ärzte, aber auch Vertreter anderer Gesundheitsberufe (Sanitäter, Pflegepersonal) im Umgang mit richtigem Verhalten in Notfällen im Flugzeug schult (siehe re.).
Wie häufig diese tatsächlich sind – und welche Notfälle auftreten – haben jetzt Ärzte der US-Universität von Pittsburgh / School of Medicine“ untersucht und die Ergebnisse im New England Journal of Medicine publiziert. Um jetzt gleich einem flauen Gefühl im Magen unter allen Urlaubsreisenden vorzubeugen: „Todesfälle an Bord oder anschließend auf dem Weg ins Spital sind sehr selten“, betont Co-Autor Christian Martin-Gill. Die US-Ärzte untersuchten sieben Millionen Flüge mit rund 744 Millionen Passagieren zwischen 2008 und 2010 von fünf US-Fluglinien: Dabei kam es zu knapp 12.000 Notfällen, von denen aber nur 36 (0,3 %) tödlich endeten. In den meisten Fällen handelte es sich um Herzstillstände – je zur Hälfte verstarben diese Patienten im Flugzeug bzw. auf dem Weg in das Spital.
Kursänderung
„Bei 875 Notfällen mussten die Piloten ihren Kurs ändern – hauptsächlich bei Herzproblemen und Schlaganfallsymptomen“, so Gill. „Die meisten Notfälle konnten aber gut an Bord ohne außerplanmäßige Zwischenlandung behandelt werden.“
Nach der Landung wurden 25 Prozent der Passagiere, die im Flugzeug therapiert wurden, in ein Spital gebracht, acht Prozent aller Notfallpassagiere wurden auch aufgenommen.
„Die neuen US-Daten decken sich in etwa auch mit unseren Erfahrungen in Europa“, sagt Huber: „Ein Drittel der Passagiere mit Beschwerden an Bord hat Atemwegsprobleme, ein Drittel Herz-Kreislaufbeschwerden und ein Drittel Beschwerden im Bauchbereich.“ Huber kritisiert, dass auch in den modernen Großraumflugzeugen mit hunderten Passagieren keine abgetrennte Kabine für die Behandlung vorgesehen ist: „Stellen Sie sich vor, Sie sind der Betroffene und drei Videokameras sind auf Sie gerichtet, weil andere Fluggäste das so spannend finden.“
Auch die Flugbegleiter haben eine Grundausbildung in Erster Hilfe – „aber hier sind die Standards von Fluglinie zu Fluglinie sehr unterschiedlich“, sagt Huber.
Sehr erfolgreich waren Ende Mai zwei Flugbegleiterinnen und ein Passagier an Bord einer AUA-Maschine von Tripolis (Libyen) nach Wien: 15 Minuten nach dem Start verlor ein Jugendlicher das Bewusstsein und hatte keinen Puls mehr. Durch eine Reanimation konnten die drei Ersthelfer dem Jugendlichen das Leben retten.
Bei drei von vier Flügen mit einem Notfall, die in der US-Studie analysiert wurden, hat sich ein Arzt oder ein Vertreter eines anderes Gesundheitsberufes gemeldet. „Aber auch viele Ärzte haben von solchen Situationen in einem Flugzeug wenig Ahnung – und gehen aus Angst, etwas falsch zu machen oder der Situation nicht gewachsen zu sein, in Deckung, wenn das Bordpersonal nach einem Mediziner fragt“, sagt Huber. „Ich selbst habe schon einmal einen Notfall an Bord miterlebt, der mich als Arzt und die anwesende Crew ziemlich überfordert hat“, schreibt ein Mediziner auf der Internet-Seite www.doc-on-board.com.
Um Ärzte genau für solche Situationen zu trainieren, bieten die Mediziner Joachim Huber und David Gabriel mit einem Team von Trainern „Doc-on-Board-Kurse“ an: In den Simulationsräumen der AUA wurden in den vergangenen zehn Jahren 2000 Teilnehmer geschult. „Wir sind weltweit das einzige Unternehmen, das Ärzte und Vertreter anderer Gesundheitsberufe systematisch und langfristig ausbildet. Und auch die AUA hatte damit eine Sonderstellung.“
Ende 2012 wurde der Kooperationsvertrag mit der AUA „seitens der Airline“ gekündigt. Derzeit verhandelt Doc-on-Board mit der Fluglinie über eine Weiterführung des Programms. „International ist eine solche Kooperation einzigartig“, sagt Huber: „Gut geschulte Ärzte können auch viel besser abschätzen, ob ein Flugzeug umkehren muss oder nicht. Das hilft den Patienten – und auch den Airlines, die damit Geld sparen.“