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"Ich hoffe auf ein neues Leben"

Die Ärzte hier in Wien sind meine ganz große – und wahrscheinlich letzte – Hoffnung." Martynas G., 19, aus einem 50-Einwohner-Dorf in Litauen, wartet auf seine letzte Untersuchung vor einer achtstündigen Operation im Evangelischen Krankenhaus in Wien-Währing: Er leidet seit seiner Geburt an einer seltenen angeborenen Erkrankung (Arthrogryposis congenita multiplex): Sie führt zu einer Versteifung der Gelenke und der Muskulatur von Händen und Füßen. Während die Funktion der Füße durch mehrere Eingriffe wiederhergestellt werden konnte, gelang dies bei den Händen – trotz sechs Operationen in Litauen und Schweden – bisher nicht: Martynas kann beide Hände seit seiner Kindheit nicht bewegen und ist im Alltag auf Hilfe angewiesen – vor allem durch seine Mutter, die ihn auch nach Wien begleitet hat: Es fehlt ihm in den Armen der Großteil der Nerven und der Muskulatur.

Über das Internet ist er auf das "Christian Doppler Labor für Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen" an der MedUni Wien / AKH Wien gestoßen – und hat mit dessen Leiter Univ.-Prof. Oskar Aszmann per Mail mehrfach korrespondiert. "Ich möchte gerne selbstständig sein und etwas Nützliches für die Gesellschaft tun", sagt Martynas.

Die ersten Schritte hin zu seiner Selbstständigkeit wurden am Donnerstag bei der Operation getan: "Wir haben Nerven aus dem Halsnervengeflecht in den linken Arm verlagert. Darüber hinaus haben wir einen Muskel aus dem Oberschenkel in den Arm transplantiert – denn seine eigenen Armmuskeln funktionieren leider nicht mehr", erzählt der Plastische Chirurg Aszmann, der den Eingriff leitete.

Ein Glas halten

Ziel dieser Operation: Martynas soll künftig eine Handprothese intuitiv steuern können. Zum ersten Mal in seinem Leben könnte er dann zum Beispiel ein Wasserglas halten. Aszmann: "Der Patient denkt an eine bestimmte Bewegung. Das Signal wird über die Nerven an den Muskel und von dort an die Prothese übertragen. So kann diese die wichtigsten Handfunktionen übernehmen."

Möglicherweise können zusätzlich zu den umgeleiteten Nerven auch ein, zwei im linken Arm noch ursprünglich vorhandene Nerven für die Steuerung der Prothese verwendet werden: "Mit der linken Hand kann er einen Finger ganz leicht bewegen. Das könnte eine große Hilfe sein." Doch bis es so weit ist, müssen in den kommenden Monaten noch zusätzliche Nervenfasern in den Arm hineinwachsen, um eine gute Signalqualität für die Prothese zu ermöglichen.

Martynas ist nicht der einzige Patient aus dem Ausland, der seine Hoffnung in die Expertise der Wiener Ärzte setzt: Ein anderer ist der britische Corporal Andy Garthwaite, der seinen rechten Arm im Afghanistan-Einsatz durch eine Bodenrakete verlor. Auch er hat die vorbereitende Operation bereits hinter sich. "Die meisten Patienten erfahren aus Medien und über das Internet von uns", sagt Aszmann.

Eine Stiftung unterstützt Martynas auf dem Weg zu einer Kunsthand: "Ich hoffe auf ein neues Leben – und bin zuversichtlich, dass alles klappen wird."

"Das Konzept funktioniert"

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Der bisher aufsehenerregendste Fall war jener von Patrick M., 24. Nach einem beruflichen Stromunfall 2008 konnte der Elektrotechniker aus Oberösterreich seine linke Hand ab dem Ellbogen nicht mehr bewegen. Im Juli 2010 hat er an der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie am AKH Wien seine eigene funktionslose Hand durch eine bionische Prothese – die Bio logie und Tech nik verbindet – ersetzt bekommen. Aszmann: "Das markiert eine historische Grenzverschiebung, die erstmals die Möglichkeiten der bionischen Extremitätenfunktion klar vor Augen geführt hat." Patrick kann mit seiner Hand sehr viel machen – sich anziehen, ein Glas halten, die Schuhe binden, eine Tasche tragen.

"Wir wissen heute, dass unser Konzept – Nerven und Muskeln zu transferieren, um eine Prothese steuern zu können – grundsätzlich funktioniert", sagt Aszmann. "Doch nicht bei jedem Patienten klappt die Umsetzung gleich gut. Wir stehen erst am Anfang und haben noch viel Forschungsarbeit vor uns."