Homosexualität einst und heute: „Sag, dass du schwul bist“
Homosexualität als Makel – das ist in den Köpfen mancher Österreicher immer noch verankert, wie zwei aktuelle Beispiele zeigen: Ein FPÖ-Politiker twittert über „vermeintliche Schwuchteln“, vor denen ihm „graust“. Und ein Asylbeamter glaubt, einen Schwulen an „Gang, Gehabe und Bekleidung“ erkennen zu können. Welche Klischees.
Dabei seien die Zeiten für Schwule schon besser geworden, stellt Günter Tolar, 79, fest. Der ehemalige ORF-Star outete vor 26 Jahren seine Homosexualität und genießt seither den Rang eines Pioniers und Elder Statesman der schwulen Community. Jetzt sagt er: „Mit den jüngsten Entwicklungen ändert sich das leider wieder.“
Akzeptanz
Tolar ist einer, der noch am eigenen Leib erlebt hat, wie Homosexuelle an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden – war sie bis 1971 in Österreich noch unter Strafe gestellt. Bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz dauerte es von da an noch Jahre, wie Hannes Sulzenbacher weiß. Er leitet das Zentrum für schwul/lesbische Geschichte QWien.
Denn viele Schwule schämten sich nach wie vor ihrer eigenen Sexualität und trauten sich nicht, damit offen umzugehen. „Die älteren waren 1971 nicht sonderlich begeistert davon, dass jüngere Homosexualität thematisierten“, berichtet er. Denn das Versteckspielen musste zu ihrer zweiten Natur werden. War „Unzucht mit Personen des selben Geschlechts“ doch seit Jahrhunderten unter Strafe gestellt – der von Kaiser Franz Josef I. im Jahr 1852 erlassene § 129 war bis 1971 aufrecht.
Nationalsozialismus
Das prägt. „Schwule, die aus dem KZ entlassen wurden, haben z. B. später fast nie erzählt, warum sie dort waren. Viele haben geheiratet, um den Schein zu wahren“, sagt Sulzenbacher.
Strafverfolgungen gab es ja weiterhin. „Der Paragraf war kein totes Recht. Es gab Mitte der 1950er Jahre so viele Verfahren wie unter den Nazis, in Europa war Österreich damit an der Spitze.“
Rechtlich
Mit der rechtlichen Gleichstellung tat man sich besonders in der ÖVP schwer, wie das Jahr 1971 zeigt. Auf Druck der Partei wurde der § 129 nicht komplett gestrichen, sondern nur eingeschränkt. So wurden homosexuelle Akte mit Männern unter 18 Jahren unter Strafe gestellt. Auch Werbung mit Schwulen war verboten. Erst 2002 waren diese Gesetze Geschichte. „Solche Fortschritte erfolgten oft durch Druck von außen, etwa Brüssel, oder dem Verfassungsgericht“, weiß Sulzenbacher.
Reaktionen auf Coming-out
Der Weg in die Mitte der Gesellschaft war und ist immer noch ein weiter. Manches geschah in kleinen Schritten, dazwischen gab es immer wieder Meilensteine, wie etwa das Outing von Tolar im Jahr 1992. Der erinnert sich: „Ich wusste nicht, was mich erwartet: Ob mich die Leute auf der Straße anpöbeln? Wie der ORF reagieren würde? Passiert ist gar nichts.“ Seine Botschaft lautet heute: „Sag, dass du schwul bist, warte nicht, bis die anderen dich fragen.“
Aids, Hosi, Rosa Lila Villa, Life Ball
Kurioserweise hat die Aids-Epidemie dazu geführt, dass Schwule in einem anderen Licht gesehen werden. „Man hat gemerkt, dass sie in allen Gesellschaftsschichten vertreten sind und sich auch gegenseitig unterstützen“, sagt Sulzenbacher. Weitere Meilensteine waren die HOSI und die Entstehung der Rosa Lila Villa in Wien, die die Community in der Stadt sichtbar gemacht hat, sowie der Life Ball und die Regenbogenparade. Heute selbstverständlich. Oder nicht? „Auf den Gesetzesweg sind wir gut unterwegs. Was mir Angst macht, sind die Verbalattacken. Vor allem in den Sozialen Medien trauen sich die Leute Beschimpfungen. Die bleiben ohne Sanktionen. Auch bei einer Regierungspartei stelle ich eine verbale Verrohung der Sprache fest, und der Koalitionspartner schweigt sich aus“, ärgert sich Günter Tolar.
Mehr als salonfähige Verbalattacken
Vor der Zukunft hat er zwar keine Angst: „Gefährlich wird es, wenn eine Regierung auf die Idee kommt, bestehende Gesetze zurückzunehmen.“ Und was sagt er über den Asylbeamten, der Gesetze umzusetzen hat und Schwule am Gang erkennen will? „Ich habe schon viel Dummes über uns gelesen, aber was er dem Asylwerber attestiert hat, ist absurd.“