HIV-Spritze ist für Fachblatt "Science" der "Durchbruch des Jahres"
Die Entwicklung des eine HIV-Infektion verhindernden Medikaments Lenacapavir ist für das Fachmagazin Science der wichtigste Forschungsdurchbruch des Jahres. Damit werde der nächste, aber keineswegs letzte Schritt im Kampf gegen Aids gewürdigt, heißt es zur Begründung des "Breakthrough of the Year".
Unter den nachgereihten Highlights finden sich mit dem Nachweis einer neuen Form des Magnetismus oder Fortschritten beim Entschlüsseln alter DNA auch Österreich-Bezüge.
Halbjährliche Spritze schützt effektiv vor einer HIV-Infektion
Weltweit leben nach Daten des UNO-Programms UNAIDS rund 40 Millionen Menschen mit HIV, der Großteil in Afrika südlich der Sahara. Eine halbjährliche Spritze mit dem Medikament Lenacapavir schützt effektiv vor einer Infektion mit dem Virus, wie Studiendaten zeigten. Bisher verwendete Mittel zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wie Truvada müssen täglich als Tablette genommen werden.
Science-Chefredakteur sieht großen Fortschritt
Die Entwicklung des Medikaments stelle einen ähnlichen Fortschritt in der HIV-Prävention dar wie frühere Durchbrüche mit antiretroviralen Medikamenten, so Science-Chefredakteur Holden Thorp. "Die sechsmonatige Wirkungsdauer von Lenacapavir macht einen großen Unterschied und bietet eine neue und bessere Möglichkeit, die Prophylaxe mehr Menschen auf der ganzen Welt zugänglich zu machen."
Der Hersteller Gilead will die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragen. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet. Das Mittel soll prophylaktisch Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden.
Es ist das dritte Mal, dass Science eine Aids-Intervention als Durchbruch auszeichnet. Im Jahr 1996 markierte demnach die Entwicklung von Proteasehemmern als wirksame Waffe gegen HIV einen Wendepunkt. "Bei den meisten Patienten konnte diese Klasse antiretroviraler Medikamente in Kombination mit anderen antiviralen Wirkstoffen den HIV-Spiegel im Blut drastisch senken", heißt es von Science. Im Jahr 2011 habe dann die bahnbrechende klinische Studie "HPTN 052" gezeigt, dass die Behandlung mit einem Cocktail dieser Wirkstoffe auch das Risiko einer sexuellen Übertragung des Virus auf andere Menschen erheblich verringert.
Galaxien, Algen, Pestizide, Plattentektonik und ein "Starship"
Neben dem "Durchbruch des Jahres" hebt das wichtige Fachmagazin alljährlich auch weitere Highlights aus der Welt der Wissenschaft hervor. Heuer waren dies demnach neue Ansätze, sogenannte "Chimeric Antigen Receptor"-Zellen (kurz "CAR-T-Zellen") nicht nur gegen Krebs, sondern jetzt auch gegen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose oder Lupus ins Feld zu führen.
Ebenso erwähnt wurden Entdeckungen neuer Galaxien mit dem "James Webb Space Telescope" (JWST) – dem "Durchbruch" des Jahres 2022 –, neuartige Pestizide auf RNA-Basis, die Entdeckung, dass eine Meeresalge mit einer Art Mini-Organ in ihren Zellen Stickstoff aus ihrer Umgebung gewinnen kann, neue Erkenntnisse dazu, wann und wie sich mehrzellige Organismen gebildet haben, eine Erweiterung des Gedankengebäudes rund um die Plattentektonik oder die Fortschritte der US-Weltraumfirma SpaceX mit ihrer Großrakete "Starship".
In diese Kategorie haben es auch erste Nachweise einer von wenigen Jahren von einer tschechischen Forschergruppe theoretisch vorhergesagten, neuen Form des Magnetismus – dem "Altermagnetismus" – geschafft. Heuer konnten mehrere Forschungsgruppen mit interessanten Materialien aufwarten, die dieses Phänomen offenbar zeigen. So gelang Anfang des Jahres einem Team u.a. unter Beteiligung der Universität Linz der erste experimentelle Nachweis dieses Phänomens.
Im Linzer Reinraum wurden Proben des Altermagnetismus-Kandidaten Mangantellurid unter speziellen Bedingungen hergestellt und in die Schweiz untersucht. Dort konnte mittels Photoemissionsspektroskopie gezeigt werden, dass es sich um einen Altermagneten handelt, wie die Forscher im Februar im Fachmagazin Nature berichteten. Man habe "erstmalig die Existenz einer völlig neuartigen Klasse von magnetischen Materialien experimentell nachweisen" können, erklärte damals der an der Arbeit beteiligte Linzer Physiker Gunther Springholz der APA.
Neue Technik lässt in uralte Familienbande blicken
Auch neue Erkenntnisse, die auf Basis der großen Fortschritte beim Auffinden und Analysieren alten Erbguts in den vergangenen Jahrzehnten möglich wurden, fanden Eingang in die Science-Liste: Dass nun aus alter DNA auch exakt Verwandtschaftsverhältnisse, die vor Jahrtausenden bestanden haben, aufgeklärt werden können, ist dem Fachmagazin eine Erwähnung wert. In dem Zusammenhang verweist man auf eine Publikation im Nature Genetics, die federführend von dem am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätigen österreichischen Wissenschafter Harald Ringbauer und David Reich von der Harvard University (USA) vorgestellt wurde.
Als Beispiel führt Science auch eine Analyse an, in der ein Team mit Beteiligung Ringbauers nachweisen konnte, dass für den Machterhalt von Stammesführern in der Hallstattzeit in Süddeutschland offenbar entscheidend war, wer ihre Mutter war – es also eine matrilinear organisierte Gesellschaft war.