Mensch 2.0: Großer Kopf, mehr Mitgefühl
Von Ernst Mauritz
"Die Evolution des Menschen macht gerade einen Sprung", sagt der renommierte Mediziner Univ.-Prof. Johannes Huber: "Der Mensch 2.0 entsteht."
KURIER: Was macht diesen neuen Menschen, von dem Sie in Ihrem Buch schreiben, aus?
Johannes Huber:Mein Eindruck ist, dass die Kinder, die im 21. Jahrhundert geboren werden, nicht mehr vergleichbar mit jenen sind, die im 20. Jahrhundert geboren wurden. Sie werden größer, ihre Schultern breiter, auch Kopfumfang und Gehirnvolumen wachsen. Gleichzeitig nimmt auch die Intelligenz, der durchschnittliche IQ, zu, wie eine Studie der MedUni Wien nachweisen konnte. Der Gesamt-IQ liegt heute 30 Punkte höher als 1909. Und es hat den Anschein, dass sich hier etwas schneller verändert, als das in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten der Fall war.
Was hat das ausgelöst?
Die neolithische Revolution, die vor rund 10.000 Jahren zum Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht geführt hat, wurde durch die Erderwärmung und die Ausbreitung von Gras ermöglicht. Daraus entstanden die Getreidesorten – die kohlenhydratreiche Ernährung beschleunigte die Gehirnentwicklung. Heute gibt es ein permanentes Überangebot an kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln. Wir leben wie in einer ständigen Schwangerschaft: In dieser sind Insulin- und Blutzuckerspiegel erhöht, um die Hirnentwicklung des Babys zu beschleunigen. Jetzt könnte der Umstand, dass wir permanent Kohlenhydrate zu uns nehmen können, dazu führen, dass sich das Gehirn rascher weiterentwickelt.
Gibt es noch weitere Gründe?
Die zunehmende Beschäftigung mit elektronischen Geräten von klein auf erfordert schnelle Reaktionen des Gehirns. Das regt die Denkgeschwindigkeit an, die Assoziationsfähigkeit wächst. Und der dritte Punkt ist das Reisen: Für jeden neuen Ort, wo ein Mensch hinkommt, für jeden neuen Eindruck legt das Gehirn eine Nervenzelle an. Diese "Place Cells" sind so etwas wie ein natürliches Navigationsgerät. Alles zusammen beschleunigt diese Entwicklung.
Mit welchen Folgen?
Wenn die Anzahl der Nervenzellen zunimmt, kann das auch die Mentalität und die Psyche der Menschen ändern. Ich halte einen Sprung zum Besseren möglich: Der Mensch 2.0 könnte empathischer und solidarischer sein. Das könnte auch zu einer gerechteren Verteilung der Güter auf der Welt führen – ohne die ein friedliches Überleben auf Dauer nicht möglich sein wird. Auch die Lebenserwartung wird weiter steigen – mit 120 muss dabei nicht Schluss sein. Es spricht nichts dagegen, einmal auch 130 oder älter zu werden, und das bei guter Gesundheit. Mehrere US-Firmen, besonders im Silicon Valley in Kalifornien, versuchen, kleinste genetische Veränderungen oder spezielle Stoffe – Biomarker – aufzuspüren, die ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Krankheiten anzeigen. Es geht also nicht mehr darum, Krankheiten zu heilen – sondern darum, alles zu tun, um ihre Entstehung überhaupt zu verhindern.
Sie vertreten die Ansicht, dass dieser "neue Mensch" auch Phänomenen aufgeschlossener gegenübersteht, die man heute noch nicht erklären kann.
Die naturwissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen Jahren einiges bestätigt, was davor als – sagen wir – "esoterisch" oder "spirituell" galt. Etwa das vielfältige Wechselspiel zwischen Körper und Psyche oder die Fähigkeit des Menschen zur Selbstheilung. Oder wer hätte es früher für möglich gehalten, dass zwei Teilchen über weite Distanzen hinweg miteinander verschränkt sein können? Wir erkennen zunehmend, dass unsere heutigen Erkenntnis nur einen Teil der Wirklichkeit erfasst. Und dass es auch jenseits davon eine – bisher für uns nicht fassbare – Wirklichkeit gibt. Deshalb sollte man Methoden wie etwa die Homöopathie nicht abtun, sondern akzeptieren, dass sie – warum auch immer – vielen Menschen helfen. Ich sehe das selbst regelmäßig in meiner Ordination.
Gehört für Sie zu dieser nicht fassbaren Wirklichkeit auch ein Gott?
Es gibt keinen Gottesbeweis. Aber angesichts der vorhin ausgeführten Gedanken muss man einfach sagen: Es ist intellektuell redlich, wenn jemand sagt, ja, für mich existiert ein Gott.
1946 in Bruck an der Leitha, NÖ, geboren, studierte Theologie und Medizin. Von 1973 bis 1983 war Huber persönlicher Sekretär von Kardinal Franz König. 2004 wurde der Gynäkologe außerordentlicher Universitätsprofessor an der MedUni Wien, heute ist er emeritiert. Huber ist Träger des silbernen Verdienstkreuzes der Stadt Wien.