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Griechenland statt Afrika: Ist der Urmensch Europäer?

Wenn stimmt, was Madelaine Böhme am Montag der Öffentlichkeit präsentierte, müssen die Schulbücher demnächst neu geschrieben werden. Ihre Theorie lautet: "Die Wiege des Menschen liegt in Europa und nicht wie bisher angenommen in Afrika." Das wird Furore machen. Daher ist auch kein Wunder, dass die Professorin für Paläontologie Anrufe aus der ganzen Welt bekam: Die "Washington Post" interviewte Böhme ebenso wie der englische "Guardian" und deutsche Rundfunkanstalten. Alle wollten wissen, wie sie diese These stützen will.

Die kurze Antwort lautet: "El Graeco", die längere und wissenschaftlich korrektere "Graecopithecus freybergii". Die Wissenschaftler der Uni Tübingen (Deutschland) und Kollegen aus Bulgarien haben sich die zwei einzigen Fossilien dieses Hominiden, die bereits vor Jahren gefunden wurden, nochmals genauer angesehen. Ein Unterkiefer wurde 1944 in der Nähe Athens entdeckt, etwas später ein Oberkieferzahn in Bulgarien.

El Graeco als Vormensch

Die Forscher glauben, dass es sich bei "El Graeco" (der Grieche, Anm.) nicht um eine Menschenaffenart handelt, wie bisher angenommen, sondern um einen Vormenschen. Im KURIER-Gespräch begründet Böhme diese Theorie so: "Menschenaffen und Menschen haben unterschiedliche Zahnwurzeln. Während der Schimpanse und seine Verwandten zwei bis drei gespreizte Wurzelkanäle haben, ist es beim Menschen nur eine verschmolzene Zahnwurzel. Beim Graecopithecus sind sie zu 50 Prozent verschmolzen."

Nord statt Ost

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Wenn man also davon ausgeht, dass "El Graeco" ein Vormensch ist und dass dieser vor ca. 7,2 Millionen Jahren gelebt hat, folgt daraus, dass unser ältester Vorfahre im östliche Mittelmeerraum entstanden ist. Die "East Side Story", wonach die Wiege der Menschheit in Ostafrika stand, werde nun durch die "North Side Story" in Frage gestellt. Was Böhmes These erhärtet: "Der Grieche" ist noch älter als der im Tschad beheimatete Sahelanthropus (er ist ca. 6 bis 7 Millionen Jahre alt und galt bisher als ältester Vormensch), der zudem noch primitiver war. Heißt: "Der Mensch entstand wohl im östlichen Mittelmeerraum und ist von hier aus in die ganze Welt weitergewandert", mutmaßt Böhme. Dieser besiedelte in einer Zeitspanne von 500.000 bis 700.000 Jahren, in der es keine Sahara gab, Afrika. Dass sich der Stammbaum von Mensch und Affe an verschiedenen Orten gleichzeitig getrennt hat, halten die meisten Wissenschaftler übrigens für ausgeschlossen. Wie die Vormenschen ausgesehen haben und ob sie bereits aufrecht gegangen sind, wisse man nicht, sagte Böhme. Wie "El Graeco" wohl ausgesehen haben mag? Anhand des Kiefers ist davon auszugehen, dass er 40 Kilo schwer war und so groß gewesen ist wie ein Schimpansenweibchen.
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Widerspruch wird erwartet

Eines ist jetzt schon klar: Böhmes These wird in der wissenschaftlichen Community heftigen Widerspruch hervorrufen. Die Tübingerin reagiert gelassen: "Solche Diskussionen beleben die Forschung – ich bin gegen Denkverbote." Die deutsche Forscherin und ihr bulgarischer Kollege Nikolai Spassov wollen jedenfalls weitermachen. "Interessant ist, ob es noch Fossilien in nahen Gebieten wie dem Irak oder dem Libanon gibt. Ich glaube, dass sich das Klima dieser Region begünstigend auf die Entstehung des Menschen ausgewirkt hat. Dass hier drei Kontinente zusammentreffen, verbessert zudem den evolutionären Austausch. Es ist wohl nicht ohne Grund, dass ausgerechnet hier die Menschen angefangen haben, Getreide anzubauen und sesshaft zu werden", mutmaßt sie. Apropos Evolution: Stimmt die Theorie, könnte sogar die Medizin davon profitieren. "Woher wir stammen, beeinflusst heutige Erkrankungen wie Adipositas oder Bluthochdruck. Wir wollen jetzt erforschen, wie der Graecopithecus gelebt und was er gegessen hat." Die Wissenschaftler haben noch nicht alles verraten, was sie wissen. Allzu viel wollen sie auch nicht preisgeben. Nur so viel verrät Böhme: "Unsere Entdeckungen haben auch etwas mit Österreich zu tun."

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