Wissen/Gesundheit

Zweite Meinung: Eine künstliche Intelligenz fragt die andere

Das Einholen einer zweiten Meinung - etwa vor einer Operation - erhöht die Sicherheit für Patienten, den richtigen Behandlungsweg eingeschlagen zu haben. "Holt eine zweite Meinung ein. Es kann euer Leben retten", schrieb etwa Schauspielerin Sharon Stone Ende des Vorjahres auf Twitter. Bei ihr wurde in einer ersten Diagnose ein großer, gutartiger Tumor in der Gebärmutter nicht erkannt - ihre Schmerzen wurden dementsprechend zunächst falsch behandelt. Erst im zweiten Anlauf wurde die richtige Diagnose gestellt.

Forscher der Monash Unversity in Melbourne, Australien, haben jetzt auch für Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Beurteilung medizinischer Bilder ein Verfahren entwickelt, das den Prozess des Einholens einer zweiten Meinung nachahmen kann.

Zu wenig gut kommentierte Bilder

Das Grundproblem: Es gibt nur eine begrenzte Menge von medizinischen Bildern bzw. Bilddatensätzen (z. B. Röntgen, CT, MRT, PET), die ausreichend mit fachlichen medizinischen Kommentaren eines Arztes versehen sind - denn das ist zeitaufwändig und erfordert auch viel Fachwissen. Himashi Peiris von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und IT entwickelte deshalb ein KI-System mit einer doppelten Sichtweise ("dual view"):

  • Ein Teil des KI-Systems versucht nachzuahmen, wie Radiologen medizinische Bilder lesen und beschriftet sie.
  • Der andere Teil des KI-Systems beurteilt die Qualität der durch die KI generierten Beschriftungen. Dafür vergleicht das System diese Beschriftungen mit der begrenzten Zahl bereits vorhandener Bilder, die von Radiologinnen und Radiologen ausreichend klassifiziert wurden.

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    "Traditionellerweise kommentieren oder beschriften Radiologen und andere medizinische Experten medizinische Bilder handschriftlich, um etwa Tumore oder andere Gewebeschädigungen hervorzuheben. Diese Beschriftungen dienen als Anleitung oder Kontrolle für das Training von KI-Modellen."

    Aber die KI nur damit zu trainieren ist problematisch: "Diese Methode beruht auf der subjektiven Interpretation von Einzelpersonen, ist zeitaufwändig und fehleranfällig", sagt Peiris.

    Der von den Monash-Forschern entwickelte Algorithmus mit seiner "doppelten Sichtweise" auf unkommentierte und bereits kommentierte Bildern kann die Gesamtgenauigkeit der Beschriftungen verbessern: Denn durch den Vergleich der Bewertungen anhand beschrifteter und unbeschrifteter Bilder kann die KI vom jeweils anderen Bewertungsergebnis lernen.

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    "Bei drei öffentlich zugänglichen medizinischen Datensätzen erreichten wir bei einem Anteil von zehn Prozent beschrifteter Daten eine Verbesserung des Ergebnisses um drei Prozent im Vergleich zu bisherigen Ansätzen", sagt Forscherin Peiris. "Unser Algorithmus hat bahnbrechende Ergebnisse im Bereich des halbüberwachten Lernens erbracht und übertrifft die bisherigen Methoden. Im Gegensatz zu Algorithmen, die auf große Mengen kommentierter Daten angewiesen sind, zeigt er selbst bei begrenzten Beschriftungen eine bemerkenswerte Leistung." Dies ermögliche es den KI-Modellen, fundiertere Entscheidungen zu treffen, ihre ersten Einschätzungen zu validieren und genauere Behandlungsvorschläge zu treffen.

    Im nächsten Schritt soll die Anwendung auf verschiedene Arten von medizinischen Bildern ausgeweitet werden und ein spezielles Produkt entwickelt werden, das Radiologinnen und Radiologen dann auch in ihren Ordinationen einsetzen können.

    Die Studie wurde im Fachmagazin Nature Machine Intelligence veröffentlicht.