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Wie Armprothesen immer mehr als Körperteil empfunden werden

Das Piepen des Lkw beim Rückwärtsfahren auf der Baustelle hatte der 52-jährige Hauptpolier nicht gehört, und der Lkw-Fahrer hatte ihn nicht gesehen. Der Polier wurde überfahren, sein linker Arm musste oberhalb des Ellbogens amputiert werden.

Der Arbeiter aus dem Burgenland war am Mittwoch der Patient für eine Weltpremiere am Wiener AKH / MedUni Wien: In nur einer Operation wurden ihm nicht nur Nerven verlagert, die eine intuitive Steuerung seiner künftigen Armprothese ermöglichen werden. Es wurde ihm gleichzeitig auch ein Implantat in den Knochen des verbliebenen Oberarmstumpfes eingesetzt, welches eine mechanisch stabile Verbindung der Prothese mit dem Stumpf ermöglicht. Damit sind auch Rotationsbewegungen mit Hilfe des intakten Schultergelenks möglich. Das funktioniert mit der herkömmlichen, an der Haut anliegenden Schaftverbindung zwischen Stumpf und Prothese so nicht.

Wiener AKH weltweit führend

Das Wiener AKH und die MedUni Wien sind weltweit bei der „bionischen Rekonstruktion“ nach Unfällen führend. Bionisch bedeutet: Biologie und Technik werden verbunden.

„Nach einer Amputation enden im Amputationsstumpf auch alle Nerven, die vormals in den Arm und in die Hand gezogen sind, um dort Muskulatur und Haut über Nervenimpulse zu versorgen“, schreibt Univ.-Prof. Oskar C. Aszmann (Klinische Abt. für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der MedUni Wien und des AKH Wien) – der Entwickler der Methode – und Laura A. Hruby in ihrem neuen Buch „Bionische Rekonstruktion“ (siehe re. unten). „Genau diese Nerven, die hier in einer Narbe enden und seit der Amputation ihr Dasein ohne Funktion fristen, verwendet man, um andere Zielmuskeln mit ihnen zu verbinden.“ Aszmann führte gemeinsam mit Reinhard Windhager (Leiter der Uni-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der MedUni Wien) und dem Schweden Rickard Branemark (University of California) den Eingriff durch. Er ist Spezialist für die Integration von Prothesen in Knochenstrukturen.

Nervenverlagerung ermöglicht Bewegung

Erst durch die Nervenverlagerung werden mehrere Bewegungsabläufe gleichzeitig (anstatt nur hintereinander) möglich – also etwa die Hand öffnen und schließen und gleichzeitig den Ellbogen anwinkeln, sagt Christian Hofer von der Firma Otto Bock. „Die verbesserte mechanische Anbindung erhöht die Beweglichkeit zusätzlich“, betont Windhager: Der Patient kann über das Schultergelenk auch Rotationsbewegungen kontrollieren.

„Große Veränderung“

„In vielen Bereichen gibt es große Fortschritte bei der Prothesenentwicklung“, sagt Branemark: Beim Nerventransfer, der verbesserten Anbindung an den Körper, aber auch bei ersten Tests zur Sensorik, zum Fühlen durch Nervenstimulation. „Das hat zur Folge, dass viele Patienten ihre Prothese nicht mehr als solche empfinden. Sie wird Teil des Individuums – das ist eine große Veränderung.“

Und während die meisten Patienten nach wie vor in der Nacht ihre Prothesen abnehmen, gebe es bereits den ersten Patienten in Schweden, bei dem alle modernen Verfahren kombiniert wurden – und der die Prothese nicht mehr abnimmt.

Erfolgsgeschichte des Patienten Patrick Mayrhofer

Der wahrscheinlich bekannteste Patient mit dieser neuen Art der Rekonstruktion von Gliedmaßen ist Patrick Mayrhofer. 2008 war der damals 20-jährige Elektriker aus dem Mühlviertel ohne eigenes Verschulden beim Arbeiten an einem Kabel in den Stromkreis geraten. Die Beine und die rechte Hand konnten gerettet werden, die linke Hand blieb aber funktionslos. Patrick entschied sich, die Hand amputieren und einige Wochen später durch eine bionische Prothese ersetzen zu lassen. Mit Erfolg: Seine Lebensqualität hat sich deutlich verbessert – und er ist ein erfolgreicher Sportler geworden: Bei den Paralympics 2018 in PyeongChang gewann er in einer Snowboard-Disziplin die Silbermedaille.

Ähnlich wie bei Krebserkrankungen wird heute interdisziplinär von Experten verschiedener Fachrichtungen jeder einzelne Patient gemeinsam genau besprochen, betont Windhager – und die beste Lösung gesucht. Aszmann: „Die Forschung wird einen Beitrag dazu leisten, dass zukünftige Prothesen-Patienten ein Leben mit immer weniger Einschränkungen führen werden.“

Welche Möglichkeiten der Rekonstruktion es gibt

Anbindung der Prothese an das Nervensystem; gleichzeitige Kontrolle mehrerer Funktionen einer Prothese; bessere mechanische Fixierung: Das sind nur drei Forschungsschwerpunkte des Christian Doppler Labors für Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen an der MedUni Wien  (Unternehmenspartner: Otto Bock Healthcare Products GmbH).

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Leiter  Oskar C. Aszmann und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Laura A. Hruby stellen jetzt in einem neuen Wissenschaftsbuch Patienten vor, die eine langfristige Beeinträchtigung ihrer Arm- und Handfunktion erlitten haben. Und sie erklären die Methoden der modernen Wiederherstellungsmedizin, mit denen ihnen geholfen wurde.

Info: Oskar Aszmann, Laura A. Hruby: „Bionische Rekonstruktion. Wiederherstellung an der Grenze zwischen Mensch und Maschine.“ MedUni Wien im MANZ-Verlag,180 Seiten, 23,90 Euro.