Warum viele Entzündungen die gleiche Ursache haben
Von Ingrid Teufl
Mit einem rheumatischen Knie zum Gastroenterologen, um den Magen-Darm-Trakt untersuchen zu lassen? Das klingt nach dem falschen Arzt für das Problem. Dennoch freut sich die Gastroenterologin Tanja Kühbacher vom Asklepios Westklinikum in Hamburg, wenn ihr Rheumatologen Patienten zur Abklärung schicken. „Zwischen entzündlichen Erkrankungen besteht eine Verbindung. Da brauchen wir noch viel stärker eine fächerübergreifende Behandlungsebene.“
Der Hintergrund liegt in den chronischen Entzündungsprozessen, die auf den gleichen Ursprung zurückgehen: Das Immunsystem. „Bei Darmerkrankungen wie Morbus Crohn können die Entzündungen daher nicht nur im Darm auf, sondern auch in anderen Körperteilen, etwa den Gelenken, auftreten – und umgekehrt“, erklärt Kühbacher, warum die interdisziplinäre Zusammenarbeit immer wichtiger wird.
Zusammenhänge
Der Zusammenhang zwischen chronisch-entzündlichen Krankheiten, die verschiedene Körpersysteme betreffen, wird zunehmend ein Thema in der Medizin. Ob Gastroenterologie, Rheumatologie oder Dermatologie: Oft gibt es ähnliche genetische Hintergründe und Umwelttrigger, die die meist in Schüben auftretenden Erkrankungen befeuern. Die neuesten Erkenntnisse diskutierten Expertinnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz kürzlich beim i-FemMe-Kongress in Hamburg. „Ziel ist es, den Austausch aller, die mit dem weiten Themenfeld der inflammatorischen Erkrankungen befasst sind, zu fördern“, betont Kongress-Vorsitzende Gabriele Eberl, die als Rheumatologin das Kurzentrum Ludwigstorff in Bad Deutsch Altenburg (NÖ) leitet.
Viele Facetten
Inflammatorische Erkrankungen haben enorm viele Facetten. „Zusätzlich zu der im Vordergrund liegenden Symptomatik der jeweiligen Krankheit können auch andere Erscheinungen aus dem rheumatologischen, dermatologischen und gastroenterologischen Bereichen auftreten“, erklärt Eberl. Darum sind sie mitunter schwer zu diagnostizieren – und viele Patienten haben einen jahrelangen Leidensweg hinter sich. Ein Beispiel: Etwa zehn Prozent der Patienten mit entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen (Spondyloartrithis) leiden auch an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, 16 Prozent haben zusätzlich Psoriasis. Bei 30 bis 40 Prozent treten auch schmerzhafte Sehnenansatzentzündungen auf. Es mache sich daher bezahlt, Patientengeschichten jeweils aus der Sicht mehrerer Disziplinen zu beurteilen.
Mikrobiom
Egal, ob die Entzündungsreaktion von Darm, Gelenken oder Haut ausgeht – das Mikrobiom rückt immer stärker in den Fokus. „Die Darmflora erfüllt viele Aufgaben, sie ist sehr wichtig für die Reifung des Immunsystems“, erklärt die Linzer Rheumatologin Gabriele Eichbauer-Sturm. „Zentrale Aufgabe des Mikrobioms ist es, das Gleichgewicht im K örper aufrecht zu erhalten. Kommt es zu einem Verlust von schützenden Bakterien, vermehren sich krankmachende.“ In der Folge führe dies zu einer Überstimulierung – und zu chronischen Entzündungsprozessen.
Bei Erkrankungen wie Neurodermitis setzt sich dieser Effekt bis in die Haut fort: Sie ist mit anderen Bakterien besiedelt als bei gesunden Menschen. „Bei Neurodermitis ist die Hautbarriere gestört. Auch dafür spielen Zellen des Immunsystems eine Rolle“, erklärt Beatrix Volc-Platzer, Leiter der Abteilung für Dermatologie im Wiener Donauspital. Die Keimzahl auf der Haut könne um bis zu 1000 Mal höher als bei Gesunden sein.
Nicht allein genetische Faktoren beeinflussen chronisch-entzündliche Erkrankungen. Eindeutig beeinflusst etwa Übergewicht die Entzündungsprozesse. Vereinfacht gesagt, kommt es in den Fettzellen zu einer Überproduktion von entzündungsfördernden Eiweißstoffen (Zytokine). Studien zeigen: Wer sein Körpergewicht normalisiert, spricht auch besser auf systemische Therapien an.
Info: Was Sie über chronische Entzündungen wissen müssen
Entzündungen sind Anzeichen, dass das Immunsystem aktiv ist – es bekämpft unerwünschte Eindringlinge (z. B. Viren, Bakterien). Rund 70 Prozent aller Abwehrzellen sitzen im Darm.
Entzündung können chronisch werden. Durch eine Fehlsteuerung der Immunantwort des Körpers kommt es zu einer überschießenden Reaktion und Aktivierung entzündungsfördernder
Botenstoffe (Zytokine). Das zeigt sich u. a. in erhöhten Entzündungsmarkern im Blut (z. B. der Antikörper Immunglobin E/IgE).
- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)
Morbus Crohn: Entzündungen in Schleimhaut (Mukosa) und Darmwänden von Dünn- und Dickdarm. Symptome: Bauchschmerzen, Durchfälle, Geschwüre.
Therapie: entzündungshemmende Medikamente, teils Kortikoide, Biologika (Antikörper wie TNF-alpha-Inhibitoren), Entfernung betroffener Darmteile.
Colitis ulcerosa: Entzündungen ausschließlich im Dickdarm (aufsteigend vom After)
Symptome: (blutige) Durchfälle, Bauchschmerzen, Leistungsabfall.
Therapie: entzündungshemmende Medikamente, teils Kortikoide, Biologika (Antikörper wie TNF-alpha-Inhibitoren), Entfernung von Dickdarmteilen.
- Chronisch entzündliche Hauterkrankungen
Atopische Dermatitis (AD, Neurodermitis): Defekt in der äußersten Hautschicht – die Hautbarriere ist gestört. Das Immunsystem reagiert überschießend auf Eindringlinge. Histaminausschüttung.
Symptome: extrem trockene Haut, Juckreiz, Rötungen, Hautinfektionen, psychische Belastung.
Therapie: pflegende Cremen und Salben, Kortison, Lichttherapien, Entspannungstechniken.
Psoriasis (Schuppenflechte): Das Immunsystem produziert zu viele Botenstoffe, dadurch wird der Erneuerungszyklus der Haut ist stark verkürzt. Auswirkungen auf andere Organe (z. B. Herz-Kreislauf-system) möglich.
Symptome: scharf begrenzte, gerötete und schuppende Hautareale (Plaques), Hautschichten verdicken sich, Schuppen.
Therapie: Cremen, die das Wachstum der Hautzellen verlangsamen, Lichttherapie, Biologika (schwere Fälle).
- Rheumatoide Arthritis (RA): Systemische und Autoimmunerkrankung, die in allen Gelenken auftreten kann – das Immunsystem befällt die Gelenksinnenhäute. Auch andere Organe können betroffen sein, z. B. die Wirbelsäule (axiale Spondyloarthritis).
Symptome: Gelenksschmerz (vor allem in Ruhe), Schwellungen, Morgensteife, allg. Krankheitsgefühl.
Therapie: Medikamente, die die Bildung entzündungsfördernder Botenstoffe (Prostaglandine) hemmen, COX2-Hemmer, Kortison, Biologika.