Virologe Drosten: "Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen"
Von Anita Kattinger
Zwischen 25. und 27. Oktober findet unter dem Eindruck der Corona-Krise der World Health Summit in Berlin und digital statt: Der deutsche Virologe Christian Drosten wird einer von 300 Vortragenden sein.
In einem Doppelinterview mit Detlev Ganten, dem Präsidenten und Gründer des World Health Summit, spricht der Leiter des Instituts für Virologie der Berliner Charité über die bisherigen Entwicklungen. So zeigt sich der Experte davon überzeugt, dass Deutschland nichts besser gemacht hat als andere Länder. Es sei nur deswegen bisher besser durch die Krise gekommen, weil es früher Maßnahmen gesetzt hat als andere Länder.
Außerdem rechnet der Virologe damit, dass die Pandemie weltweit jetzt erst richtig losgehen wird. Das Interview wurde vor rund sechs Wochen geführt, wie der Experte im ZDF sagte. Lesen Sie hier die wichtigsten Aussagen von Christian Drosten.
Was bisher überrascht:
"Ich hätte überhaupt nicht erwartet, dass dieses Virus so leicht übertragbar ist. Für mich war ja ganz schnell klar, dass das ein SARS-Virus ist, und zwar die Spezies, dieselbe Virusart, die ich seit 17 Jahren kenne. Aber dass sich dieses hier so komplett anders verhält, hätte ich nicht gedacht. Schuld daran ist übrigens ein winziges Detail im Oberflächenprotein des Virus."
Das Wichtigste im Kampf gegen Covid-19:
"In Deutschland zum Beispiel ist die medizinische Forschung sehr krebsorientiert. Dabei sind Infektionserkrankungen, das merken wir nicht nur jetzt, extrem wichtig in der Medizin. Da brauchen wir viel mehr Forschung. Antibiotikaresistenzen sind das nächste große Thema. Das trifft auch uns in der Hochleistungsmedizin. Wir sehen ja, wie es sich rächt, wenn man Betätigungsfelder vernachlässigt, die uns scheinbar nicht betreffen. Aber wirklich nur scheinbar."
Warum es im globalen Süden nur wenige Todesfälle gibt:
"Zum einen das Altersprofil: Die Bevölkerung ist einfach jünger. Und zum anderen ist das Immunsystem an viele Infekte gewöhnt. Wurminfektionen zum Beispiel sind dort universell verbreitet. Die beeinflussen das Immunsystem. Wir kennen zwar die genaue Auswirkung auf diese spezielle Covid-19 Viruserkrankung nicht, es könnte aber eine Erklärung sein."
Mehr auf die Wissenschaft in Zukunft hören:
"Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft ist derzeit hoch, das kann sich aber schnell ändern. Im Moment weiß niemand genau, wie die Epidemie weiterverläuft. Es gibt die Möglichkeit, dass das Ganze trotz wissenschaftlicher Erklärung nicht mehr so gut zu beherrschen ist und dass die Wissenschaft beispielsweise mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen einfach zu langsam gewesen ist. Wir werden erst am Ende wissen, wie sich die Wissenschaft geschlagen hat. Denn diese Pandemie ist ja erst mal kein wissenschaftliches Phänomen, es ist eine Naturkatastrophe."
Die wichtigste Lektion für die Zukunft:
"Die Pandemie wird jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns. Wir können höchstens von Lektionen aus der ersten Welle in Europa sprechen. Schon alleine da gibt es Riesenunterschiede. Was man aber in jedem Fall schon sagen kann, ist, dass es relativ wichtig ist, die Bevölkerung gut und umfassend zu informieren. Es kann großen Schaden anrichten, wenn Politiker*innen die Dynamik einer Pandemie für politische Botschaften nutzen. Das ist sehr schwierig - das Virus serviert unmittelbar die Rechnung. Man sieht, was das in den USA anrichtet. Auch in Deutschland sehen wir die Konsequenzen."
Wünsche:
"Wir müssen, um die Situation in den kommenden Monaten zu beherrschen, Dinge ändern. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen. Es werden schon Festtagsreden auf den deutschen Erfolg gehalten, aber man macht sich nicht ganz klar, woher er kam. Dieser Erfolg kam einfach daher, dass wir ungefähr vier Wochen früher reagiert haben als andere Länder. Wir haben mit genau den gleichen Mitteln reagiert wie andere.
Wir haben nichts besonders gut gemacht. Wir haben es nur früher gemacht. Darum waren wir erfolgreich. Wir waren nicht deshalb erfolgreich, weil unsere Gesundheitsämter besser waren als die französischen, oder weil unsere Krankenhäuser besser ausgestattet sind als die italienischen. Wenn man das jetzt überträgt in den Herbst, dann muss man sich natürlich klarmachen, dass wir auch weiterhin nichts besser machen als andere."
"In Argentinien zum Beispiel ist die Verbreitung trotz Maßnahmen sehr schwer zu kontrollieren – dort ist Winter. Wir sollten in Deutschland viel differenzierter und genauer ins Ausland schauen. Wir müssen aufhören, uns über so Dinge wie Fußballstadien zu unterhalten. Das ist wirklich komplett irreführend."
Wenn wir es geschafft haben:
"Was bedeutet, "man hat´s geschafft"? Wahrscheinlich wenn die Ausbreitung nach einem epidemischen Muster durchbrochen ist. Wenn also nicht mehr eine freie Infektionswelle über die Bevölkerung läuft, sondern es nur noch lokal eingegrenzte Ausbrüche gibt, die man kontrollieren kann. Diese Situation wird in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten erreicht sein. In Ländern des globalen Südens könnte das schon früher der Fall sein, weil die Altersstruktur anders ist. Bei uns ist das natürlich abhängig davon, wann es genügend Vakzine für die Risikogruppen gibt.
Priorität auf Risikogruppen:
"Ja, dann brauchen wir nicht gleich 50 Millionen Impfdosen in Deutschland. Neben der zu erwartenden Verteilungskompetition ist es auch gar nicht so einfach, so viele Vakzinedosen in Flaschen abzufüllen und die dann auch zu verimpfen. Selbst wenn der Impfstoff da ist. Deswegen ist das schon eine Unternehmung fürs ganze Jahr 2021. Auch wenn im Januar ein oder zwei zugelassene Impfstoffe da sind, muss das alles abgefüllt und verimpft werden."