Ursprung des Coronavirus: Wissenschaft fischt nach wie vor im Trüben
Bei einer Pandemie mit bisher 635 Millionen Erkrankten und 6,6 Millionen Todesopfern ist die Herkunft der Covid-19-Erreger weiterhin von höchstem Interesse. Doch die Wissenschaft fischt noch immer im Trüben: Laut neuesten Forschungsergebnissen dürften SARS-CoV-2 und Fledermaus-Viren erst vor wenigen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren gehabt haben. Doch die Details der Entwicklung bleiben im Dunklen, berichtete jetzt die britischen Wissenschaftszeitschrift "Nature".
In Singapur fand vor kurzem (8. November) der 7. World One Health Kongress statt. Dort ging es auch um den Ursprung der Pandemie, die seit mehr als zweieinhalb Jahren die Welt heimsucht. Zumindest seit Anfang 2020 sind viele Wissenschafterteams - ein Hotspot sind Labors in Südostasien - damit beschäftigt, die Erbsubstanz von immer mehr Coronaviren von verschiedenen Säugetierarten zu sequenzieren. Hinzu kommt tiefgefrorenes Gewebematerial mit Coronaviren vergangener Jahre bis Jahrzehnte. Das soll im Endeffekt einen Stammbaum ergeben, über den sich die Herkunft von SARS-CoV-2 zweifelsfrei herleiten lässt und würde auch den immer wieder auftauchenden und bisher in keiner Weise belegbaren Spekulationen über ein "Entkommen" von SARS-CoV-2 aus einem Labor ein Ende setzen.
Bisher hat die Wissenschaft bereits viele Puzzlesteine zum Entstehen der Covid-19-Erreger gesammelt, eine endgültige Lösung aber steht noch aus. Die australische "Nature"-Autorin Smriti Malapaty mit Hinweis auf die bei der Konferenz in Singapur präsentierten Forschungsergebnisse: "Mehr als ein Dutzend mit SARS-CoV-2 eng verwandte Viren sind bisher aus Fledermäusen und Schuppentieren (Pangoline) isoliert worden. Um ihre genetische Nähe zu SARS-CoV-2 zu bestimmen, wurden oft die gesamten Genome verglichen, die jeweils rund 30.000 Basenpaare lang sind.
Mit dieser Methode haben die Wissenschafter mit einem BANAL-52 genannten Fledermaus-Virus aus Laos und einem als RaTG13 bezeichneten Fledermaus-Virus aus Yunnan im südlichen China die bisher nächsten Verwandten identifiziert. Das Genom von BANAL-52 ist zu 96,8 Prozent mit SARS-CoV-2 identisch, jenes von RATG13 zu 96,1 Prozent. Die drei bis vier Prozent Unterschied deuten darauf hin, dass diese beiden Viren vor 40 bis 70 Jahren einen gemeinsamen Vorfahren gehabt haben.
Der Vergleich der Zusammensetzung vollständiger Genome hat aber einen Nachteil: Damit kann man die schnelle Rekombination mit dem Austausch einzelner Genomabschnitte zwischen verschiedenen Virustypen nicht berücksichtigen. Deshalb haben der Evolutions-Virologe Spyros Lytras und sein Team von der Universität Glasgow 18 Fledermaus- und Pangolin-Viren mit enger Verwandtschaft zu SARS-CoV-2 in jeweils 27 Teilen analysiert. Diese Genom-Fragmente waren jeweils einige hundert bis einige hunderttausend Basenpaare lang. Jedes Segment hätte eine jeweils andere evolutionäre Geschichte, betonte Lytras.
"Diese Analyse zeigte, dass einige Segmente mit SARS-CoV-2 noch vor wenigen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Die meisten dieser Fragmente wiesen auf einen gemeinsamen Ursprung um das Jahr 2007 hin. Aber ein kleiner Genomabschnitt mit nur 250 Basenpaaren könnte auf einen gemeinsamen Vorfahren im Jahr 2016, ein anderes Fragment mit 550 Nukleotiden Länge auf einen im Jahr 2015 hinweisen. Das wäre drei bis vier Jahre vor dem Auftauchen von SARS-CoV-2 bei Menschen", schrieb die "Nature"-Autorin. Lytras hätte betont, dass vor allem wegen der Wanderung der Fledermäuse - mit ihren für sie ungefährlichen Viren - von einem Aufkommen der Covid-19-Erreger eben in Südchina bzw. Südostasien auszugehen sei.
Ob man aber je auf den direkten Ursprung von SARS-CoV-2 kommen wird, bleibt bei den Virologen, die sich mit der Evolution von Krankheitserregern beschäftigen, umstritten. Die in Wirtsorganismen ständig ablaufenden Rekombinationen zwischen Viren lassen das Bild nämlich sehr schnell verschwimmen. Edward Holmes, Virologe der Universität Sydney: "Die Chancen dafür sind fast Null. Dieser Dampfer ist abgefahren."