Digital gegen Depression: Psychotherapie per App bald auch in Österreich
Von Elisabeth Kröpfl
Psychotherapie per App vom Arzt verordnet und von der Krankenkasse bezahlt – das soll bald auch in Österreich möglich sein. Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wo gibt es schon Psychotherapie-Apps?
In Deutschland wurde bereits im Jahr 2019 im Zuge des Digitale-Versorgung-Gesetzes die "App auf Rezept“ eingeführt. Digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs, sind seitdem etwa in den deutschen Versorgungsleitlinien bei leichten Depressionen die Therapie der ersten Wahl, bei erstmalig auftretenden sogar vor Psychotherapie. Auch in den britischen Behandlungsleitlinien für Depressionen wurden digitale Therapien bereits aufgenommen.
Was sind die Vorteile?
Die örtliche und zeitliche Verfügbarkeit der Apps ist wohl der größte Vorteil. In Deutschland etwa müssen Krankenkassen den Patientinnen und Patienten den QR-Code inzwischen innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung stellen. So können die Apps auch während der Wartezeit auf einen Therapieplatz genutzt werden. Studien zeigen, dass es dadurch seltener zu einer Chronifizierung von Krankheiten kommt. Auch bei tabuisierten Themen sind Apps ein niedrigschwelliger Weg der Hilfe.
Dennoch: Eine Psychotherapie per App – geht das nicht einen Schritt zu weit?
"In der Bevölkerung gibt es noch ein falsches Verständnis dafür, wie gut diese Dinge wirken", sagt Lukas Pezawas, Leitender Oberarzt an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der MedUni Wien im KURIER-Gespräch. So zeigen Studien, dass digitale Therapeutika bei leichten bis mittelgradigen Depressionen eine ähnliche Ansprechrate haben wie klassische Psychotherapie. Das heißt: Rund ein Drittel der Patientinnen und Patienten kann mittels digitaler Therapie vollständig gesund werden; weitere therapeutische Maßnahmen sind nicht mehr notwendig.
Können Therapie-Apps bald ohne klassische Psychotherapie eingesetzt werden?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bei Depressionen können Psychotherapie-Apps – je nach Schweregrad – als alleinige oder ergänzende Therapie eingesetzt werden. Eine Monotherapie mit digitalen Gesundheitsanwendungen wird in Deutschland nur bei leichten Depressionen empfohlen. Bei schwereren, wiederkehrenden Formen wird sie als Ergänzung zu Medikamenten oder Psychotherapie empfohlen.
Kann mir die App auch eine Diagnose stellen?
Einige Apps könnten das vermutlich. "Die Frage ist, ob sie das sollten", so Pezawas. Bei Depressionen etwa lautet die Empfehlung in Deutschland, die Apps in ein therapeutisches Gesamtkonzept einzubinden. Das heißt, die Patientinnen und Patienten sollen damit nicht allein gelassen werden. Wie bei einem Medikament muss es ein Aufklärungsgespräch mit Vor- und Nachteilen, möglichen Nebenwirkungen und Einsatzbereichen stattfinden, so Pezawas.
Damit in Deutschland eine App auf Rezept verschrieben werden kann, müssen die Entwickler einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stellen. Erfüllt eine App alle notwendigen Kriterien (z. B. in Bezug auf Datenschutz, Usability, Anforderungen an ein Medizinprodukt), wird sie in das DiGA-Verzeichnis (Digitale Gesundheitsanwendungen) aufgenommen, das derzeit mehr als 60 Anbieter umfasst, vor allem für psychische, vereinzelt aber auch für körperliche Leiden.
In Deutschland wird zwischen vorläufig aufgenommenen DiGAs und dauerhaft aufgenommenen DiGAs unterschieden. Provisorisch zugelassene DiGAs müssen erst nach 12 Monaten eine klinische Studie vorlegen, was in der Vergangenheit kritisiert wurde. Begründet wird diese Regelung damit, dass die Finanzierung, z. B. für Start-Ups, erleichtert werden soll.
Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten werden also nicht ersetzt?
Nein. Auch wenn die Devise lautet: digital vor ambulant vor stationär, ist es nicht empfehlenswert, Apps völlig eigenständig zu nutzen. Denn es muss auch auf die Therapieadhärenz geachtet werden, das heißt, es muss überprüft werden, ob die Patientinnen und Patienten die App auch regelmäßig nutzen. Aus Studien weiß man, dass die Wirkung bei begleiteten Patientinnen und Patienten besser ist als bei unbegleiteten. Pezawas, der die Entwicklung der App "edupression" medizinisch begleitet hat: "Die Apps sollen niemanden ersetzen, sondern ein zusätzliches Instrument in der Hand von Ärztinnen und Therapeuten sein. Wenn etwas schief läuft, muss es jemand im Blick haben." Allerdings: "Wenn man in einer Region lebt, in der es keine entsprechende Versorgung gibt, ist die App allein besser als nichts."
Für welche psychischen Erkrankungen gibt es Apps. Und welche ist die richtige für mich?
Das entscheidet der Arzt oder die Psychotherapeutin. In Deutschland werden Apps, die zur Auswahl stehen, im DiGA-Verzeichnis gelistet. Derzeit gibt es 64 Apps, unter anderem für Schlaf- und Essstörungen, Panikstörungen, soziale Phobien, Depressionen und Angststörungen. Bei den beiden letztgenannten, den häufigsten psychischen Störungen, ist das Angebot am größten. Der Grund dafür sind wirtschaftliche Überlegungen. Pezawas: "Bis so eine App fertig ist, stecken die Hersteller locker zwei Millionen Euro in die Entwicklung. Bei häufigen Erkrankungen rechnen sich Apps daher eher."
Sind digitale Therapien nicht sogar notwendig, um den Bedarf zu decken?
Ja. Zehn Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Depression oder Angststörung. Laut einer aktuellen österreichischen Studie behandeln Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten durchschnittlich 46 Patientinnen und Patienten pro Jahr. "Demnach müsste halb Österreich Psychotherapeutin oder Psychologe sein. Bei der Häufigkeit dieser Erkrankung kann man sich nicht einmal theoretisch vorstellen, dass das mit einer Face-to-Face-Versorgung abgedeckt werden kann." Hinzu kommt, dass Psychotherapie ein reines Stadtphänomen ist: "Am Land gibt es praktisch keine Therapeutinnen und Therapeuten. Und das lässt sich mit digitalen Therapien gut überbrücken. Jeder hat ein Smartphone und Internet."
Wann kommt das Ganze auch in Österreich?
"In Österreich haben Sozialversicherung und Politik mittlerweile erkannt, dass die Apps kommen müssen", ist Pezawas überzeugt. Aus dem Gesundheitsministerium heißt es auf KURIER-Nachfrage, dass derzeit die organisatorischen und rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um digitale Gesundheitsanwendungen nach deutschem Vorbild "auf Rezept" anbieten zu können: "Als nächsten Schritt werden wir im ersten Halbjahr 2024 ein Pilotprojekt starten, um den Einsatz der ersten Anwendungen zu ermöglichen. Natürlich unter Gewährleistung hoher datenschutzrechtlicher Standards und Qualitätssicherung für Patient:innen." Auch vonseiten der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) heißt es, man habe bereits mit der Planung erster Pilotprojekte begonnen.
Was weiß man denn über die Wirksamkeit von Apps?
Eine allgemeine Aussage lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Angebote schwer treffen. Laut Pezawas gibt es im Bereich der psychischen Gesundheit mittlerweile genügend medizinische Evidenz, die zeigt, dass digitale Gesundheitsanwendungen gut wirksam sind und die Effektstärken denen der Psychotherapie ähneln. "Im Bereich der Depression gibt es mittlerweile Hunderte von randomisierten kontrollierten klinischen Studien, die die Wirksamkeit digitaler Interventionen belegen." Bei der von Pezawas mitentwickelten App "edupression" zeigte sich nach drei Monaten im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Reduktion des Schweregrads der Depression. Auch die Psychoedukation, also das Wissen der Patientinnen und Patienten, verbesserte sich nachweislich. Einen guten Vergleichswert bietet auch die Verschlechterungsrate der Behandlungsoptionen. Sie liegt bei regulärer Psychotherapie bei fünf Prozent, bei Mental-Health-DiGAs mit zwei Prozent sogar noch darunter.
Wo liegen die Schwächen der Apps, was können sie nicht?
Pezawas: "Apps sind keine Wundermittel." Eine Verallgemeinerung sei schwierig, da viele Bereiche abgedeckt würden und sich auch Apps in ihrer Wirksamkeit für die gleiche psychische Störung zum Teil stark unterscheiden. Große Unterschiede zwischen den Anbietern gebe es bei der Usability, also der Benutzerfreundlichkeit. Zudem gebe es in der Psychiatrie derzeit noch Bereiche, für die es keine medizinische Evidenz gebe, etwa bei Schizophrenie.