Wissen/Gesundheit

"Geniale Moleküle des Lebens": Chemie-Nobelpreis für Code-Knacker von Proteinen

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften hat den Nobelpreis für Chemie 2024 zur einen Hälfte an den US-Amerikaner David Baker (University of Washington/USA) "für computergestütztes Proteindesign" und zur anderen Hälfte gemeinsam an den Briten Demis Hassabis und den US-Amerikaner John M. Jumper (beide Google DeepMind/Großbritannien) "für die Vorhersage von Proteinstrukturen" vergeben.

"Geniale Moleküle, die Leben ermöglichen"

Beim diesjährigen Chemie-Nobelpreis dreht sich also alles um Proteine, jene "genialen Moleküle, die Leben ermöglichen", wie es bei der Verkündung der Preisträger am Mittwoch hieß. 

"Proteine bestehen im Allgemeinen aus 20 verschiedenen Aminosäuren. Sie sind Bausteine, die Knochen, Haut, Haare und Gewebe formen. Sie geben unseren Muskeln Kraft, sie lesen, kopieren und reparieren unsere DNA, sie sind Antikörper, die unsere Immunantwort ermöglichen, sie sind Hormone, die alle unsere Körperzellen regulieren", präzisierte Heiner Linke, Vorsitzender des Nobelkomitees für Chemie, die Bedeutung von Proteinen für den Menschen. "Ein Protein besteht aus Hunderttausenden von Atomen. Um zu verstehen, wie Leben funktioniert, müssen wir ihre Form verstehen."

Baker sei das fast unmögliche Kunststück gelungen, völlig neue Arten von Proteinen zu bauen. Im Jahr 2003 gelang es dem 1962 geborenen Biochemiker, ein neues Protein zu entwerfen, das sich von allen anderen Proteinen unterscheidet. "Seitdem hat seine Forschungsgruppe eine originelle Proteinkreation nach der anderen hervorgebracht, darunter Proteine, die als Arzneimittel, Impfstoffe, Nanomaterialien und winzige Sensoren verwendet werden können", heißt es in einer Aussendung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.

Hassabis und Jumper hätten ein KI-Modell entwickelt, um ein 50 Jahre altes Problem zu lösen: die Vorhersage der komplexen Strukturen von Proteinen. In Proteinen sind Aminosäuren in langen Strängen miteinander verbunden, die sich zu einer dreidimensionalen Struktur zusammenfalten, die für die Funktion des Proteins entscheidend ist. Seit den 1970er Jahren hatten Forschende versucht, Proteinstrukturen aus Aminosäuresequenzen vorherzusagen, was sich jedoch als äußerst schwierig erwies. Vor vier Jahren gelang Hassabis und Jumper der verblüffende Durchbruch.

Die drei Laureaten, deren Entdeckungen laut Nobelkomitee enormes Potenzial bergen, wurden bereits vom Datenkonzern Clarivate zu den Favoriten für den diesjährigen Chemie-Nobelpreis gezählt, weil sie zum Kreis der meistzitierten Wissenschafter zählen.

"Die Welt zu einem besseren Ort machen"

"Danke vielmals, ich bin sehr aufgeregt und fühle mich sehr geehrt, es ist ein einzigartiger Tag für mich", sagte Baker, den die Nachricht in den USA im Schlaf am Telefon erreichte, in einem ersten Statement. Infolge dankte der US-Amerikaner seinen "großartigen wissenschaftlichen Mentoren und Wegbegleitern", wie auch seiner Familie. Sein Wunsch sei es, künftig mithilfe von intelligentem Proteindesign "die Welt zu einem besseren Ort zu machen". Etwa indem es bei der Entwicklung von Medikamenten genutzt wird.

Die Auszeichnung ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 970.000 Euro) dotiert. Übergeben wird der Preis traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Im vergangenen Jahr ging die Chemie-Auszeichnung an die in den USA tätigen Wissenschafter Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Jekimow für die Entdeckung und das Herstellen von Quantenpunkten.

Präsente Künstliche Intelligenz

Interessant ist der übergeordnete inhaltliche Konnex zum am Dienstag vergebenen Physik-Nobelpreis: Er ging an US-Forscher John J. Hopfield und den gebürtigen Briten Geoffrey E. Hinton für "bahnbrechende Entdeckungen und Erfindungen, die maschinelles Lernen mit künstlichen neuronalen Netzen ermöglichen". Hopfield und Hinton hätten Werkzeuge aus der Physik genutzt, um den Grundstein für das heutige leistungsstarke maschinelle Lernen, die Künstliche Intelligenz (KI), zu legen, hieß es

Auch beim Chemie-Preis spielt KI nun eine bedeutende Rolle. Im Jahr 2020 stellten Hassabis und Jumper ein KI-Modell namens "AlphaFold2" vor. Mit dessen Hilfe konnten sie die Struktur von praktisch allen 200 Millionen Proteinen vorhersagen, die Forschende identifiziert haben. Seit ihrem Durchbruch wurde die Anwendung von mehr als zwei Millionen Menschen aus 190 Ländern genutzt. Neben einer Vielzahl wissenschaftlicher Anwendungen können Forschende nun etwa Antibiotikaresistenzen besser verstehen und Bilder von Enzymen erstellen, die Plastik zersetzen können.

Linke vom Nobelkomitee dazu: "Jeder Nobelpreis muss komplett auf eigenen Füßen stehen. Der heutige Preis wurde für einen Durchbruch in der Biochemie vergeben."

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Der Chemie-Nobelpreis wurde seit 1901 bisher 115 Mal vergeben. 192 Individuen haben ihn bislang erhalten. Der jüngste Preisträger war Frédéric Joliot im Alter von 35 Jahren, der älteste John B. Goodenough im Alter von 97 Jahren. Zwei Personen haben ihn zwei Mal erhalten: Frederick Sanger und Barry Sharpless.

Der letzte Chemie-Nobelpreis mit gewissem Österreich-Bezug wurde 2013 an Martin Karplus verliehen. Karplus wurde 1930 als Kind jüdischer Eltern in Wien geboren und musste vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen. Infolge studierte er dort Chemie und promovierte im Jahr 1953 am California Institute of Technology zum Doktor der Chemie. Seit 1966 ist Martin Karplus Professor an der Harvard University.

2013 wurde ihm gemeinsam mit Michael Levitt und Arieh Warshel für die Entwicklung von "Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme" der Nobelpreis für Chemie zuerkannt. Nach der Verleihung kritisierte er Österreich scharf dafür, den Preis für sich zu reklamieren. "Ich fühle mich nicht als Österreicher", sagte er damals im Gespräch mit der APA. Österreich probiere "ein Drittel meines Nobelpreises für sich zu reklamieren, indem es mich als Österreicher darstellt, aber ich bin Amerikaner!".

Medizin-Nobelpreis für Gen-Regulation, Physik-Ehrung für Entwicklung künstlicher neuronaler Netzwerke

Der heurige Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ist am Montag den US-Forschern Victor Ambros und Gary Ruvkun für die Entdeckung der microRNA (miRNA) zuerkannt worden. Dabei handle es sich um die "Entdeckung eines grundlegenden Prinzips für die Regulierung der Genaktivität", dessen Potenzial auch in der Therapieentwicklung ausgelotet wird.

In der Kategorie Physik wurden, wie bereits erwähnt, am Dienstag ein US-amerikanischer und ein britischer Forscher für die Entwicklung künstlicher neuronaler Netzwerke ausgezeichnet.