Coronavirus: Mutation in Nerzen "nicht unbedingt besorgniserregend"
Über die im Norden Dänemarks festgestellte Coronavirus-Mutation bei Nerzen ist in Wissenschaftskreisen momentan noch sehr wenig bekannt. Eine im Raum stehende Mutation des Spike-Proteins des SARS-CoV-2-Virus sei an sich aber "nicht zwingend besorgniserregend", sagte Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien zur APA. Worauf die dänischen Behörden ihre nun gesetzten Initiativen gründen, sei aber noch schwer einzuschätzen.
Unklare Entscheidungsgrundlage
"Die Maßnahmen, die dort getroffen wurden, (die Regierung in Kopenhagen hat die Tötung des gesamten Nerzbestandes im Land angeordnet; Anm.) sind offensichtlich radikal. Für die internationale Forschungsgemeinschaft ist bisher nicht klar, aufgrund welcher Entscheidungsgrundlage das passiert", sagte der Wissenschafter, der sich am zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gehörenden CeMM mit Mutationen des neuen Virus beschäftigt.
Offenbar gehe es hier um Veränderungen des charakteristischen Spike- oder S-Proteins, mit dem das Virus an der Oberfläche menschlicher Zellen andockt. "Das ist per se nicht überraschend", so Bergthaler. Bis dato wurden Veränderungen an dieser Stelle bereits in sehr großer Zahl entdeckt und beschrieben. Trotzdem gilt insgesamt, dass SARS-CoV-2 mit rund zwei neuen Mutation pro Monat in seinem rund 30.000 genetische Buchstaben großen Genom, sich im Vergleich etwa zum Grippe- oder HIV-Virus relativ langsam entwickelt.
Wie sich derartige Veränderungen im Kontakt mit dem Menschen auswirken, könne man noch kaum festmachen. Das gilt etwa auch für die schon länger bekannte Mutation D614G im S-Protein. Hier dürfte es sich um eine Veränderung handeln, die die Stabilität des S-Proteins erhöht und damit den Erreger infektiöser macht. "Das wurde aber im Menschen noch nicht letztgültig bewiesen", so Bergthaler. Was nun die Nerz-Variante ausmacht und was sie bewirkt, liege noch tiefer im Unklaren.
Infektionen in Nerzfarmen, inklusive wechselseitige Übertragungen zwischen Tier und Mensch wurden bereits im September von einer Forschungsgruppe aus den Niederlanden in einer wissenschaftlichen Arbeit thematisiert. Dort wurde daraufhin alle befallenen Bestände getötet. Nun hat sich Dänemark zu dem drastischen Schritt entschieden, alle Nerzfarmen zu schließen.
Laut dortigen Behördenangaben könnte die Verbreitung der SARS-CoV-2-Variante Auswirkungen auf mögliche künftige Corona-Impfstoffe haben. "Man kann sich nur schwer vorstellen, dass aufgrund einer einzelnen Mutation zukünftige Impfstoffe ineffektiv sind", betonte Bergthaler, der aufgrund der dürftigen Informationen auch "keine Veranlassung" sieht, gar vom Ursprung einer neuen Erkrankung oder "Covid-20" zu sprechen.
500 Viren für Transfer
Bergthaler und Kollegen sammeln seit geraumer Zeit Erbgutinformationen des SARS-CoV-2-Virus in Österreich, vergleichen diese und ziehen Rückschlüsse auf die Mechanismen der Verbreitung. Dies geschieht in einem interdisziplinären Verbund zusammen mit Experten der Medizinischen Unis in Wien, Graz und Innsbruck, der Uni Wien, der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und vielen weiteren österreichischen Institution und internationalen Partnern.
So konnte das Team kürzlich unter großem medialen Aufsehen zeigen, dass es für eine Infektion mit dem neuartigen Virus im Durchschnitt einen Transfer von geschätzt rund 500 bis 1.000 Viren brauchen dürfte. "Diese Zahl ist ein Puzzlestein, der einen quantitativen Anhaltpunkt gibt", so Bergthaler. Er betont, dass es auf jeden Fall Sinn mache, die Anzahl der Viren, mit denen man potenziell in Kontakt kommt, durch die hinlänglich bekannten Maßnahmen zu drücken.
Bisher hat die Gruppe das gesamte Genom von 747 SARS-CoV-2-Viren aus Proben aus Österreich entschlüsselt und auf der Website https://cemm.at/sars-cov-2 zugänglich gemacht. Hier handelt es sich zum Großteil um Proben aus der Frühphase der Epidemie hierzulande aus Tirol oder ersten Wiener Clustern. "Jetzt kommen vermehrt Proben aus den letzten Wochen und Monaten dazu", sagte Bergthaler.
In Zusammenarbeit mit der Klinik Favoriten forsche man nun auch an der Veränderung des Virus bei Intensivpatienten über die Zeit der Behandlung von mehreren Wochen. "Da gibt es eine gewisse Dynamik von Virusmutationen über die Zeit, und die ist noch sehr schlecht verstanden", so der Forscher. Diese Forschung kann wichtige Erkenntnisse dazu liefern, ob das Virus auf hoffentlich bald verfügbare therapeutische Medikamente mit Veränderungen reagieren könnte.
Überdies befasst sich das Team mit Fragen dazu, wie einzelne Schutzmaßnahmen das Übertragungsgeschehen verändern. Klar sei: "Keine Maßnahme für sich schafft es, die Infektion komplett zu unterbinden, aber alles zusammen hat einen quantitativen Effekt." Dazu kommt die Überprüfung der Hypothese, ob eine erhöhte Anzahl an Viren, denen jemand zu Anfang ausgesetzt ist, auch zu unterschiedlich schweren Krankheitsverläufen führt. Darauf weisen etwa internationale Daten in Tiermodellen hin, so Bergthaler: "Wir glauben, dass wir mit unseren Berechnungen hierzu einen wesentlichen Beitrag liefern können."