Doping im Alltag: Konsumieren, um zu funktionieren
Wenn man über Doping spricht, tauchen im Kopf vor allem Bilder von Spitzensportlerinnen und -sportlern auf – etwa beim Langlaufen oder Radfahren. Dabei ist Doping längst nicht mehr nur diesen Kreisen "vorbehalten".
Das sogenannte Alltagsdoping zieht sich quer durch alle sozioökonomischen Schichten. Zumal die Betroffenen oft so agieren, dass ihr Suchtverhalten für Außenstehende unbemerkt bleibt – sie konsumieren, um zu funktionieren.
"Es ist absurd, dass wir bei Doping zwar mit dem Finger auf den Spitzensport zeigen, dabei aber die Frage vernachlässigen, wie oft jede und jeder in Österreich zu Suchtmitteln greift, um ganz alltägliche Aufgaben zu bewältigen", sagt Suchtexperte Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien und Vorstand des Instituts für Sozialästhetik und Psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität Wien (SFU).
Valide Zahlen fehlen
Bisher fehlte valides Zahlenmaterial für Österreich zur Gänze, was eine fundierte Diskussion über Alltagsdoping erschwerte. "Wir schätzen, dass etwa 150.000 Menschen in Österreich medikamentenabhängig sind", sagt Musalek. Leistungssteigernde Präparate kommen dabei im (beruflichen) Alltag ebenso zum Einsatz wie "Downer", also Schlaf- und Beruhigungsmittel, die Phasen der Erholung ermöglichen.
Medikamentensucht ist nur ein Teilbereich des Alltagsdopings. Auch illegale Substanzen wie Kokain, die aufputschend wirken, werden missbraucht – ebenso wie Alkohol. "Alkohol baut Spannung ab. Das kann vor einer wichtigen Besprechung ebenso als notwendig empfunden werden wie beim fast schon obligatorischen 'After-Work-Drink'", erklärt Musalek – und ergänzt: "Natürlich ist nicht jedes Glas Alkohol Alltagsdoping. Wir sprechen dabei ausdrücklich nicht von einem Achtel Wein, das gemütlich bei einem Fest im Freundeskreis genossen wird, sondern von Konsum, der als notwendig und im weitesten Sinne leistungssteigernd empfunden wird."
Quantitative und qualitative Erhebung
Die Grenze kann freilich fließend sein. Umso wichtiger sei daher die Sensibilisierung für das Thema. "Wir erhoffen uns von der Studie sowohl quantitative als auch qualitative Erkenntnisse, also nicht nur eine Antwort auf die Frage, wie viele Menschen in Österreich auf Alltagsdoping zurückgreifen, sondern auch: Welche beruflichen und sozialen Rahmenbedingungen fördern den Missbrauch von legalen und illegalen Substanzen?", sagt Musalek.
Für die Studie, die von der Stiftung Anton Proksch-Institut Wien finanziert und gemeinsam mit der SFU durchgeführt wird, werden 1.000 Österreicherinnen und Österreicher von einem Meinungsforschungsinstitut befragt. Hinzu kommen qualitative Interviews, die von Suchtexpertinnen und -experten geführt werden. Erste Ergebnisse werden um den Jahreswechsel 2020/21 erwartet.