Wissen/Gesundheit

Welt-Aids-Tag: Teil der HIV-Neudiagnosen in Österreich wäre vermeidbar

473 HIV-Infektionen wurden 2022 in Österreich diagnostiziert - ein Anstieg nach den Pandemiejahren (siehe die nachstehende Grafik): Ein "guter Teil" davon wäre zu verhindern gewesen, sagt der Infektiologe und HIV-Spezialist Bernhard Haas, Generalsekretär der Österreichischen Aids-Gesellschaft. Und zwar mit einer flächendeckenden, niederschwelligen HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP).  Die PrEP ist eine Safer-Sex-Methode, bei der HIV-Negative ein HIV-Medikament einnehmen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Allerdings: "Fehlende Information - auch bezüglich früher Symptome einer HIV-Infektion - und Stigmatisierung von Menschen mit HIV sind Faktoren, warum viele Personen erst in einem fortgeschrittenen oder späten Stadium von ihrer HIV-Erkrankung erfahren“, wird Haas in einer Aussendung der Aids-Gesellschaft zitiert: "Und das in Österreich, einem Testweltmeister-Land“. 

Besonders häufig sind Spätdiagnosen bei Personen älter als 50 Jahre, sowie Frauen und Männern, die sich auf heterosexuellem Weg infiziert haben.

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In naher Zukunft sollen neue deutsch-österreichische Leitlinien für den Einsatz der PrEP veröffentlicht werden. Ein Bericht des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) "zeigt nochmals ganz klar auf, dass durch den Einsatz von PrEP auch in Österreich HIV-Infektionen verhindert, Krankheit reduziert und schlussendlich sogar Kosten eingespart werden könnten", betont Haas.  "Bedauerlicherweise blieb bis dato die politische Unterstützung für eine vollständige Erstattung der PrEP Versorgung - dies inkludiert die Medikation und nötige Untersuchungen - aus.“

Derzeit wird die Präexpositionsprophylaxe in Österreich nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Medikamente müssen daher privat bezahlt werden. Die monatlichen Medikamentenkosten betragen rund 60 Euro, hinzu kommen aber auch noch Kosten für regelmäßige Laborkontrollen.

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Die österreichische Aids-Gesellschaft rufe alle relevanten Akteure und Entscheidungsträger dazu auf, die Ergebnisse des AIHTA-Berichts zu berücksichtigen und die Umsetzung der neuen Leitlinien aktiv zu unterstützen. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass präventive Maßnahmen wie die PrEP in nationalen Strategien zur Bekämpfung von HIV/Aids integriert werden, um das langfristige Ziel HIV-Neuinfektionen auf null zu reduzieren zu erreichen."

Aids-Hilfen warnen vor den Folgen von Stigmatisierung

Auch die Aids-Hilfen warnen vor den negativen Folgen einer völlig ungerechtfertigten Stigmatisierung. Auch wenn das Leben mit einer HIV-Diagnose mit den heute etablierten Therapien gut bewältigbar sei, bedeute sie für manche Menschen einen dramatischen Einschnitt, heißt es bei der Aids Hilfe Wien. Doch das müsse nicht sein, so die Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien, Andrea Brunner: “Wir müssen reden. Neben dem niederschwelligen Zugang zu modernen Therapien, müssen wir auch über die bestehende Stigmatisierung von Menschen mit HIV sprechen. Denn allein schon die Angst davor, als HIV-positiver Mensch vielleicht stigmatisiert zu werden, hält Menschen von einem HIV-Test ab.  Hier gibt es noch viel zu tun.“ Und weiter: "Bauen wir Vorurteile ab, indem wir uns alle informieren und schaffen wir gemeinsam Räume, in denen es zunehmend normal ist auch über Themen rund um sexuelle Gesundheit zu reden."

Die Aids-Hilfe Wien wendet sich mit drei Forderungen an die Öffentlichkeit:

  • Null Diskriminierung von Menschen mit HIV: 

Hier sei weiterhin Aufklärung notwendig:  "Zum Beispiel ist es wichtig zu wissen: Menschen unter wirksamer Therapie geben das Virus auch auf sexuellem Wege nicht weiter. Und wichtig ist es sowieso immer zu verstehen: Im normalen Lebensalltag kann HIV ohnehin nie weitergegeben werden. Die Einschränkung der Lebensqualität und des psychischen Befindens durch Abwertung und Diskriminierung verursacht viel größere Probleme als die tatsächlich geringen gesundheitlichen Einschränkungen, die sich aufgrund einer HIV-Infektion unter wirksamer Therapie heutzutage ergeben."

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Viele Menschen mit HIV erleben abwertendes Verhalten, wenn sie ihren Status bekannt geben. Angst, Scham und ein herabgesetztes Selbstwertgefühl – verursacht durch Diskriminierung – führen bei Menschen mit HIV häufig zu einer schlechteren Lebensqualität, betont Brunner. Dabei lasse sich aufgrund der medizinischen Fortschritte und mit gesichertem Zugang zu wirksamer antiretroviraler Therapie das Leben mit HIV in Österreich gut und gesund gestalten. 

  •  Optimierung der HIV-Prävention – auch durch die kostenfreie PrEP:

Die Aids Hilfe Wien fordert eine möglichst breite Verfügbarkeit von HIV-Behandlungs-,Test- und Präventionsangeboten, damit alle Menschen gut versorgt sind. Dazu gehört unter anderem auch der niederschwellige und kostenfreie Zugang zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP).  Bei korrekter Einnahme ist sie ein ebenso zuverlässiger Schutz wie das Kondom. Andrea Brunner: „Es wird endlich Zeit, dass nicht das Geldbörsel darüber entscheidet, ob jemand eine wirksame Präventionsmaßnahme wie die PrEP nutzen kann.“

  •  Reden über sexuelle Gesundheit:

 "Gerade bei Menschen, die mit HIV – unter wirksamer Therapie einer mittlerweile chronischen Infektion – leben, verändert sich auch heute noch häufig das Sexualleben", sagt Brunner: "Das müsste aber nicht zwangsläufig sein: Mit Präventionsmethoden wie ‚Treatment as Prevention‘ oder der HIV-Prä-Expositionsprophylaxe ist eine Übertragung von HIV fast gänzlich auszuschließen. Was wir häufig noch erleben sind (Selbst-)Stigmatisierung und Ausgrenzung. Daher ist es der Aids Hilfe Wien am Welt-AIDS-Tag besonders wichtig, die sexuelle Gesundheit von Menschen, die mit HIV leben, zu thematisieren, aber auch Sexualität aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.“ 

 Sorge um Ausbreitung von HIV in Osteuropa

Anlässlich des Welt-Aids-Tages warnen Experten vor einer neuerlichen Ausbreitung der Krankheit in Osteuropa. "Besonders in Osteuropa steigt die Neuinfektionsrate weiter an", sagt der Infektiologe Christoph Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Fortschritte im Kampf gegen HIV seien indes in Afrika zu verzeichnen. 

Weltweit lebten 2022 rund 39 Millionen Menschen mit HIV, etwa 1,3 Millionen Menschen pro Jahr infizieren sich neu mit dem Immunschwächevirus. HIV ist mittlerweile gut therapierbar, sodass Aids nicht im Körper ausbricht und die Behandelten nicht ansteckend sind.

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Dennoch gibt es noch viel Diskriminierung und Stigmatisierung, auch hierzulande. 21 Prozent meinen, dass HIV-Positive eine Gefahr für die Gesellschaft sind, zeigte eine aktuelle Umfrage im Auftrag des Pharmakonzerns Gilead. Fast ein Drittel (31 Prozent) der 1.000 befragten Österreicherinnen und Österreicher glauben fälschlich, dass HIV über einen Kuss übertragbar ist. 13 Prozent nehmen dies auch für Insektenstiche an und immerhin noch zwölf bzw. zehn Prozent fürchten zu unrecht eine Ansteckung über die gemeinsame Benützung von Geschirr bzw. von Toiletten. HIV ist dabei in erster Linie eine sexuell übertragbare Infektion, einfachsten Schutz bieten Kondome.