Warum es kein "gesundes" Übergewicht gibt
Von Ernst Mauritz
"Fat but fit" – übergewichtig zwar, aber unauffällige Werte bei Blutdruck, Blutfetten und Blutzucker: Wer bisher geglaubt hat, damit sei er ohnehin im grünen Bereich, der hat sich geirrt. ",Fat but fit‘ scheint ein Mythos zu sein", sagen Wissenschafter des Imperial College London und der University of Cambridge.
Sie analysierten Daten von mehr als 7600 Patienten mit einer Herzgefäßerkrankung wie Herzinfarkt: Gesunde, aber übergewichtige Menschen (Body-Mass-Index 25 bis 30) haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine Herzgefäßerkrankung, bei einem BMI über 30 steigt das Erkrankungsrisiko sogar um bis zu 28 Prozent im Vergleich zu Normalgewichtigen.
Allerdings tritt dann etwa ein Herzinfarkt später im Leben auf, weil – zeitverzögert, aber doch – auch Blutdruck, Blutzucker und Blutfette irgendwann erhöht sind.
Ihre Studie wurde im European Heart Journal veröffentlicht.
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Auf den Übergewichtstyp kommt es an
"Wenn alle Werte normal sind und man ‚nur‘ übergewichtig ist, spielt es auch eine Rolle, welcher Übergewichtstyp man ist", sagt der Sportmediziner Univ.-Prof. Paul Haber. "Sind hauptsächlich Hüfte und Oberschenkel betroffen, ist das Risiko für eine Herzgefäßerkrankung deutlich geringer." Bei einem Gewicht, das fünf bis zehn Prozent über dem Normalgewicht liegt, sei die Risikoerhöhung noch gering.
Hormonähnliche Substanzen
Problematisch ist das Fettgewebe im Bauchbereich: Dieses produziert hormonähnliche Substanzen – die Adipokine, die eine entzündungsfördernde Wirkung haben: "Es kommt zu einer niedrigschwelligen Entzündung, die bei der Entstehung chronischer Krankheiten eine Rolle spielt."
Gegenspieler dieser Substanzen sind die Myokine: Sie werden von Muskelzellen produziert, die durch körperliches Training aktiviert sind. Sie senken das Entzündungsniveau.
Unterschätzt
"Gerade für übergewichtige Menschen spielt es eine große Rolle, ob sie Bewegung machen oder nicht. Ihr positiver Einfluss wird unterschätzt", betont Haber. Denn damit kann das Erkrankungs- und vorzeitige Sterberisiko deutlich gesenkt werden – auch wenn es nach den jüngsten Studien immer noch höher ist als bei schlanken und fitten Menschen. Körperliche Fitness alleine kann 17 bis 18 Prozent der vorzeitigen Todesfälle verhindern. "Senkt man den Blutdruck, ist die Größenordnung ähnlich – rund 15 Prozent."
Bewegung ist der stärkste Einzelfaktor
Demgegenüber habe etwa das Absenken des Cholesterin- oder Blutzuckerspiegels einen deutlich geringeren Einfluss auf die Sterblichkeit. "Haber: Bewegung und gute körperliche Fitness ist der stärkste Einzelfaktor, der eine Auswirkung auf alle anderen hat – Blutdruck, Blutfette, Blutzucker etwa."
Wer stark übergewichtig ist – ein BMI über 30 –, aber eine gute körperliche Verfassung hat und aktiv ist, hat "nur ein halb so großes Risiko für einen frühzeitigen Tod wie schlanke Personen mit schlechter Kondition", sagt Haber: "Also besser fett und fit als schlank und schlapp."
Eine Ausnahme von der Regel
Allerdings: Es scheint - in einem gewissen Rahmen - eine Ausnahme zu geben. "Bei Menschen mit chronischer Herzschwäche etwa scheint eim Body-Mass-Index etwas über 25 (ab 25 beginnt die Definition von Übergewicht, Anm.) eher günstig zu sein", so Haber. "Solange man gesund ist, ist es gut schlank zu sein. Aber bei chronischen Krankheiten kann es von Vorteil sein, gewisse Reserven zu haben."