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Ess-Störungen nehmen weiter zu – nicht nur bei Mädchen

Ess-Störungen werden immer häufiger – auch bei Burschen. Vor allem der stärker werdende Druck der Gesellschaft, erfolgreich und gut aussehend zu sein, hat dabei großen Anteil. Dazu kommen fragwürdige Promi-Vorbilder sowie Model-Shows im Fernsehen, die den Selbstwert der Teenager negativ beeinflussen. Welche Therapien sich in der Praxis bewährt haben und welche neuen Erkenntnisse es gibt, diskutierten Experten am Donnerstag anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Therapiezentrums für Menschen mit Essstörungen "intakt".

Burschen wollen muskulöser sein

Eine im Herbst 2105 abgeschlossene Studie des Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research und der MedUni Wien belegte in Zahlen, was auch in der Behandlungspraxis von Ess-Störungen bekannt ist. 3600 Schüler waren seit 2013 zu ihrer psychische Gesundheit befragt worden. 31,8 Prozent der Mädchen und bereits 14,1 Prozent der Burschen gaben an, Angst zu haben, beim Essen die Kontrolle zu verlieren. "Viele Burschen fühlen sich unzufrieden und wünschen sich, muskulöser zu sein", sagte Karin Waldherr, Präsidentin der Gesellschaft für Essstörungen. 28,2 Prozent der Mädchen und elf Prozent der Burschen fühlten sich zudem zu dick, obwohl andere sagen, dass sie schlank sind.

Kampagne für gesundes Körperbewusstsein

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Genau darauf zielt auch die aktuelle Werbekampagne von "intakt" unter dem Motto "Liebe dich so, wie du bist" ab. Mit der Botschaft auf Plakaten und CityLights in Wien wolle man ein gesundes Körperbewusstsein propagieren, wird im Leitungsteam betont.

Unsicherheit oder mangelnder Selbstwert können eine Ess-Störung begünstigen. Ein erhöhtes Risiko haben Mädchen und Burschen mit einem hohen Body-Mass-Index (BMI). Ist dieser extrem hoch, liegt es bei Mädchen sogar bei rund 50 Prozent, bei Burschen bei 30 Prozent. Für Waldherr ist erschreckend, dass sich nur ein Viertel der Betroffenen in Behandlung begibt.

Früh gegensteuern

Dabei könnte bei einer frühen Intervention viel verhindert werden. "Ärzte und Therapeuten sollten die Betroffenen dabei unterstützen, mit sich selbst mitfühlend umzugehen. Dafür braucht es positive Erfahrungen mit sich selbst", erklärte Luise Reddemann in ihrem Vortrag. Die deutsche Psychiaterin und Psychotherapeutin gilt im deutschsprachigen Raum als Pionierin der Traumatherapie. "Fast alle meine Patienten sind beständig Suchende." Sie hat das Konzept der "sicheren inneren Rückzugsräume" entwickelt. "Es geht darum, wirkungsvolle Bewältigungsstrategien für die individuellen Probleme zu finden."

Ursache für Essstörungen

Magersucht oder Bulimie können allerdings die Symptome eines zurückliegenden Traumas wie Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit sein. Es gelte daher ebenso, Traumahilfe zu leisten, betont Univ.-Prof. Silke Birgitta Gahleitner, die an der Donau-Uni Krems eine Professur für Integrative Therapie und Psychosoziale Interventionen innehatte.

Bis in die 1990er-Jahre setzten Therapeuten stark darauf, Klienten mit dem traumatischen Erlebnis zu konfrontieren, um es aufzulösen. Doch oft kam es zu einer Re-Traumatisierung oder Chronifizierung. Heute versucht man, individueller zu arbeiten. "Man muss entscheiden, ob eine Konfrontation oder eine Stabilisierung vorrangig ist." Es komme vor allem darauf an, "wie früh, wie andauernd und wie schädigend" die Traumatisierung sei. "Es geht darum, das missbrauchte Vertrauen wiederherzustellen."

Die Nase ist zu groß, die Brust zu klein, die Lippen zu schmal, der Penis deformiert – das können Fälle von Dysmorphophie sein. "Diese Störung des subjektiven Körperbildes ist von Fokussierung auf einen bestimmten Körperteil geprägt, nicht ein globales Körperschema", erklärt Prim. Elmar Kaiser, Leiter des Psychosomatischen Zentrums Waldviertel in Eggenburg bei der Fachtagung des Therapiezentrums "intakt".

Davon ist weniger als ein Prozent der Bevölkerung betroffen. Studien zeigen jedoch: "Unter der Klientel von plastisch-kosmetischen Chirurgen sind rund sechs Prozent betroffen." Die Erkrankung beginne typischerweise im frühen Erwachsenenalter, der zweite Häufigkeitsgipfel sei im Umfeld der Menopause erkennbar. In der Therapie gibt es keine Standards. "Wir arbeiten mit multimodalen Ansätzen. Ein großer Baustein ist etwa Psychotherapie." Hilfreich zeigen sich hier kreativtherapeutische Verfahren wie Mal- oder Musiktherapie, weil sie nonverbales Verstehen ermöglichen.