Ergotherapie: Wieder alltagsfit werden
Von Ingrid Teufl
Der Patient hat einen Schlaganfall erlitten. Nach vier Wochen stationärem Aufenthalt im Spital und sechs Wochen Reha-Klinik haben sich viele seiner beeinträchtigten Körperfunktionen bereits verbessert. Aber das geliebte Kartenspielen mit den Enkerln, geht immer noch nicht. Weil die Feinmotorik des 74-Jährigen es nicht zulässt, dass er die Karten halten könnte.
Der Mann ist frustriert, will am liebsten gar keine Karten mehr sehen. Doch Ergotherapeutin Marion Hackl gibt nicht auf, ihrem Patienten seine verbliebenen Ressourcen aufzuzeigen und darauf aufzubauen. „Wir schauen gemeinsam, was er für diese Fertigkeit braucht und arbeiten daran.“ Das ist in dem Fall das notwendige Training der Handfunktion. Doch bis diese gelingt, verwendet der ältere Herr beim Spielen einen Kartenhalter.
Begleiten
Diese Geschichte macht deutlich, worum es in der Arbeit von Ergotherapeuten geht. „Wir begleiten den Patienten so lange, bis er mit seinen vorhandenen Möglichkeiten gut leben kann.“ Das Ziel: Größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag. „Es geht nicht darum, dass ein Schlaganfallpatient seinen gelähmten Arm wieder heben kann. Sondern dass er etwas damit tun kann.“
Die Arbeit von Ergotherapeuten ist aber nicht auf Schlaganfallpatienten begrenzt. „Wer zu uns kommt, hat mit Funktionsstörungen oder Entwicklungsverzögerungen zu kämpfen, etwa durch Unfall, Krankheit oder Behinderung“, erklärt Hackl, gleichzeitig Präsidentin des Ergotherapeuten-Berufverbands. Wenn nötig, werden Hilfsmittel wie Krücken oder sonstige Gehhilfen in die Therapiestunden einbezogen. Man arbeite eng mit Vertretern anderer Gesundheitsberufe wie Physiotherapie, Pflege und Medizin zusammen.
Eine große Patientengruppe machen Kinder aus, in den vergangenen Jahren stiegen die Zahlen stetig.
Spielerischer Zugang
Das Training von Gleichgewicht, Körperwahrnehmung oder Übungen zur Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit erscheinen auf den ersten Blick wie ein Spiel und weniger wie eine Therapie. Der spielerische Zugang ist bewusst gewählt. Wie sich ein Kind beim Spielen und bei gezielten Aufgaben verhält, sagt den Experten nämlich viel über mögliche Defizite. „Für die Eltern ist es oft schwer zu verstehen, wenn nicht konkret am vom Arzt diagnostizierten Problem gearbeitet wird“, weiß Marion Hackl.
Dazu kursieren viele falsche Vorstellungen über die Möglichkeiten der Ergotherapie. „Wir behandeln ausschließlich medizinische und therapeutische Probleme. Lernschwäche ist zum Beispiel keines unserer Aufgabengebiete, das ist eine pädagogische Maßnahme.“
Wenn ein Kind jedoch legasthenisch veranlagt ist und Buchstaben verwechselt, könne Ergotherapie durchaus sinnvoll sein. „Wir versuchen dann herauszufinden, was hinter der Legasthenie steckt.“ Ihr könne etwa ein Ungleichgewicht zwischen rechter und linker Gehirnhälfte zugrunde liegen.
Ein Kurzvideo über die Arbeit von Ergotherapeuten sehen Sie hier
Einen kostenfreien Ergotherapie-Kassenplatz zu erhalten ist schwierig. Der Hauptverband stellte in der sogenannten „Streissler-Studie“ bereits 2012 eine Versorgungslücke fest. Sie wurde mit 44.000 Fällen jährlich beziffert, die Autoren sprechen von Unterversorgung.
Irmgard Himmelbauer, Ergotherapeutin in Wien, kennt das Problem: „Vergangene Woche hatte ich zehn neue Patientenanmeldungen, ich kann frühestens in ein bis zwei Jahren einen Termin vergeben.“ Sie ist im Berufsverband für die niedergelassenen Ergotherapeuten zuständig und kritisiert: „Manche Kassen nehmen ihre gesetzlich verankerte Versorgungspflicht nicht ausreichend wahr.“ Statt einer flächendeckenden, kostenfreien Versorgung „versuchen manche Kassen, mit zu gering bemessenen Pool- oder Kontingentlösungen einen Versorgungsanspruch zu wahren.“
Mit der steirischen Gebietskrankenkasse (STGKK) habe man nach einem Jahr Verhandlungen noch keinen Vertrag. „Die angebotene Poollösung ist nicht für eine therapeutische Versorgung geeignet, das wissen wir aus unseren Erfahrungen in Wien“, sagt Himmelbauer. Man könne nur einen Teil der Patienten kostenfrei behandeln. Bei der STGKK bedauert man, dass die Ergotherapeuten die Verhandlung abgebrochen haben, obwohl das ursprüngliche Angebot von 9000 auf 16.000 Stunden erhöht wurde. Derzeit leistet die STGKK Kostenzuschüsse.
In Wien gibt es im niedergelassenen Bereich einen Vertrag mit der WGKK über 11.000 Poolstunden. „Das entspricht 7,5 Therapeuten für die gesamte Stadt.“ Bei der WGKK verweist man aber auf zusätzliche Ambulatorien und Therapeuten im stationären Bereich.
In anderen Bundesländern setzen die Kassen auf Vollzeittherapeuten: In OÖ gibt es 48 Vollzeitstellen, in NÖ soll es ab 2014 36 Stellen geben. Diese, betont Himmelbauer, seien in einer Größenordnung, die für eine flächendeckende Versorgung der Bundesländer nötig sei.