Die umstrittene Krankheit
Von Ingrid Teufl
Ständige Schmerzen in Muskulatur, Bindegewebe oder Gelenken, dazu womöglich auch Schlafstörungen oder depressive Verstimmungen – Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom (FMS) leiden nicht nur an den Symptomen dieser chronischen Schmerzerkrankung. Häufig erhalten sie auch noch unterschiedliche Diagnosen aus den verschiedenen Fachrichtungen. "Jedes Fachgebiet sieht eine andere Ursache", sagte Winfried Häusler, Schmerzexperte am Klinikum Saarbrücken, beim 18. Internationalen Schmerzsymposium, das am Wochenende in Wien stattfand.
Der Grund dafür ist die Komplexität der Beschwerden und das häufig unter Medizinern überhaupt umstrittene Krankheitsbild. "Es ist medizinisch falsch, wenn Fachärzte sagen, FMS gibt es gar nicht." Bereits vor 20 Jahren wurde das Syndrom von der WHO als eigenständige Krankheit definiert. Sich an diagnostischen Leitlinien zu orientieren, erspare den Betroffenen "jahrelange Unsicherheit und viele unnötige Schmerzen". Zudem könne die passende Therapie rascher eingeleitet werden.
Mehr Frauen betroffen
Etwa zwei Prozent der Bevölkerung leiden an FMS, Frauen bis zu sieben Mal häufiger als Männer. Viele Patienten erhalten sogar unterschiedliche Diagnosen. "In der Psychiatrie hält sich etwa hartnäckig, FMS sei nichts als eine larvierte (versteckte, Anm.) Depression. Aber nicht jeder FMS-Patient ist depressiv und nicht jeder depressive Patient leidet an Schmerzen in verschiedenen Körperregionen." 60 bis 80 Prozent der Patienten erfüllen die Kriterien einer somatoformen Schmerzstörung. Das sind körperliche Schmerzen, die nicht genau einer Ursache zugeordnet werden können. Mit Schmerzskizzen und Fragebögen gelinge es jedoch, die Schmerzsymptomatik in verschiedenen Körperregionen zu überprüfen, so Häusler. Fibromyalgie kann viele Ursachen sowie leichtere und schwerere Verläufe haben. "Eine einzig richtige Therapie gibt es nicht." Häusler hat gute Erfahrungen mit körperlicher Betätigung. "Auch meditative Bewegungstherapien wie Qi-Gong oder Yoga können helfen."
Der Schmerzexperte räumt aber auch mit dem Vorurteil auf, FMS sei allein mit Psychotherapie heilbar. "Realistische Therapieziele sind Erhalt und Verbesserung der Leistungsfähigkeit im Alltag. Beschwerdefreiheit wird manchmal fälschlicherweise in Aussicht gestellt."
Wenn im Zusammenhang mit Krebserkrankungen von Schmerzen die Rede ist, denken die meisten an die Situation in der letzten Lebensphase. Diese Assoziation ist jedoch längst überholt, betonten Experten beim Schmerzsymposium in Wien. "Es wird übersehen, dass Krebspatienten durch die Erfolge in der Onkologie heute viel länger leben", sagt Rolf-Detlef Treede von der Universität Heidelberg. Durch Chemotherapien oder radiologische Bestrahlungen können jedoch auch Nerven geschädigt werden. "Das verursacht häufig chronische Schmerzen, mit denen die Patienten leben müssen." Bei 40 Prozent von Chemotherapie-Patienten treten etwa sogenannte neuropathische Schmerzen auf, zeigen Studien. In der Ärzteschaft fehle das Bewusstsein, diese Patienten kompetent zu behandeln. Treede: "Diese nicht-palliative Tumor-Schmerztherapie beginnt erst, bekannt zu werden."
Krebs-Patienten im Endstadium leiden hingegen meist unter sogenannten Durchbruchschmerzen. Das sind unberechenbare, unkontrollierbare Schmerzspitzen. Hier müssen die Schmerzmittel innerhalb weniger Minuten wirken. Dies gelinge aber nur mit modernsten Medikamenten auf Fentanyl-Basis. Es ist bis zu 100-mal wirksamer als Morphin, betont Univ.-Prof. Hans Georg Kress von der MedUni Wien. Doch diese Präparate sind im Erstattungskodex nicht enthalten. "Ich kenne viele Fälle, wo die Patienten diese Medikamente nicht erhalten. Hier wird am falschen Platz gespart."