Diabetes: Reha verzehnfacht
Von Ernst Mauritz
„Es ist eine explosionsartige Entwicklung“, sagt Manfred Felix, Obmann der Pensionsversicherungsanstalt (PVA): Die Zahl der Rehabilitationen bei Stoffwechselkrankheiten – hauptsächlich Diabetes – in 16 PVA- und mehr als 80 Vertragspartnereinrichtungen hat sich innerhalb von acht Jahren mehr als verzehnfacht: „2004 waren es 351, 2012 bereits fast 4000 Reha-Aufenthalte. Die Patienten werden immer jünger und immer schwerer.“ Auch bei den Rehabilitationen wegen psychiatrischer Erkrankungen gab es seit 2004 fast eine Verzehnfachung (auf 5932 im Jahr 2012).
Zwar ist Rehabilitation erfolgreich und verhindert viele Invaliditätspensionen – im Bereich Bewegungsapparat gingen sie seit 2004 um 38, bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 36 Prozent zurück, 2012 erstmals auch leicht bei den psychisch bedingten Frühpensionierungen: „Aber wir müssen früher ansetzen.“
„Präventions-Charta“
„Wir geben im internationalen Vergleich sehr viel Geld für Gesundheit aus, aber es gibt Länder, deren Bevölkerung mehr gesunde Lebensjahre hat“, so Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse ( siehe Grafik).
Ein Grund: Österreich widmete bisher nur rund 1,8 Prozent des Gesundheitsbudgets (461 Mio Euro) der Prävention (Verhinderung) von Krankheiten. Im Rahmen der Gesundheitsreform kommen in den nächsten zehn Jahren 150 Millionen dazu.
„Derzeit gibt es ein Wirrwarr an Aktivitäten“, betont Renate Römer, Obfrau der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt AUVA. Bei den Gesundheitsgesprächen des Europäischen Forums Alpbach startete die AUVA eine große Initiative zur Koordination und Vernetzung aller Präventionsangebote: Im Rahmen einer „Präventions-Charta Österreich“ soll erhoben werden, was alles unter „Prävention“ fällt und welche Angebote es schon gibt: „Die Organisationen sollen sich besser abstimmen“, so Römer. Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung wollen enger kooperieren.
„80 Prozent der Krankheitslast entstehen durch Zivilisationskrankheiten“, so Peter McDonald, geschäftsführender Obmann der SVA (Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft). Diese halbiert den Selbstbehalt (zehn statt 20 Prozent), wenn mit dem Arzt Ziele für einen gesunden Lebensstil vereinbart werden: „Seither stieg die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen um 40 Prozent.“
Ab 1.9. bietet die SVA in Wien und im Burgenland als Pilotprojekt eine kostenlose Vorsorgeuntersuchung („Gesundheits-Check junior“) im Volksschul- und Jugendlichenalter bei Allgemein- sowie Kinder- und Jugendärzten an. Auch Themen wie Sucht werden angesprochen.
WGKK-Obfrau Reischl setzt auf schriftliche Einladungen für die Vorsorgeuntersuchung – und auf sehr frühe Programme wie ,Richtig essen von Anfang an‘ für werdende Eltern. Übergewichtige Kinder sollen Eltern künftig bei Therapieaufenthalten begleiten können, um sie nachher bei der Umstellung der Ernährung besser unterstützen zu können.
Diabetiker sollten nach Schweden ziehen: „Dort ist ihre Lebenszeit in guter Gesundheit um zehn Jahre länger als bei uns“, sagte die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz beim Forum Alpbach. „Die Rate von Amputationen als Spätfolge von Diabetes ist in Österreich höher als im westeuropäischen Durchschnitt. Es gibt Diabetiker, die nur deshalb erblinden, weil sie schlecht versorgt sind.“
Pilz will eine öffentliche Diskussion unter Einbeziehung der Bevölkerung über „Priorisierungen“ im Gesundheitssystem: „Wir gehen in Österreich von der Illusion aus, dass alle immer alles bekommen. Aber – siehe Diabetiker – so ist es nicht. Wir müssen eine Rangordnung von Dingen erstellen, die uns am wichtigsten sind.“
In Österreich fehle es an Versorgungszentren für chronisch Kranke, wo sich z. B. speziell geschulte Pflegekräfte um die intensive Betreuung von Diabetes-Patienten kümmern. Dafür fehle in den Ordinationen derzeit oft die Zeit. Ähnliche Strukturen fordert auch die Wiener Gesundheitsökonomin Maria Hofmarcher (Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und -forschung): „Wir benötigen effektive kleine Versorgungseinheiten, wo z. B. ein Hausarzt mit verschiedenen Gesundheitsberufen, von Pflegepersonal bis zur Sozialarbeiterin, zusammenarbeitet.“
In der Prävention ist Hofmarcher für einfache Programme: „Warum macht man nicht – auch über die neuen Social Media – in Städten Kampagnen fürs Stiegensteigen in der U-Bahn? Das ist billig und alltagsbezogen.“