Der Darm schützt vor Allergien
Von Ingrid Teufl
Der Darm und seine Bedeutung für zahlreiche Vorgänge im Körper wurde lange unterschätzt. Erst nach und nach wird er intensiv beforscht. Es zeigt sich, dass das „unterschätzte Organ“, wie Giulia Enders den Verdauungstrakt in ihrem Bestseller „Darm mit Charme“ nennt, sogar Einfluss auf die Entstehung von Allergien haben dürfte. Eine neue Studie der Universität Chicago zeigte nun, dass bestimmte Darmbakterien offenbar sogar vor Lebensmittelallergien schützen können.
Zwischen 1997 und 2007 waren allein in den USA Lebensmittelunverträglichkeiten bei Kindern um 18 Prozent angestiegen. Daher untersuchte das internationale Forscherteam rund um Cathryn Nadler bei Mäusen, welche Veränderungen in der Zusammensetzung der Darmflora Auswirkungen auf Allergien haben.
„Wir wissen noch viel zu wenig über die Faktoren, die diese Entwicklungen antreiben“, schreiben die Forscher im Fachmagazin Proceedings der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS). Ein Erklärungsansatz ist eine anfälligere Darmflora durch Faktoren wie etwa Kaiserschnitt, Umwelteinflüsse oder übertriebene Antibiotika-Verwendung.
Bakterienfreier Darm
Für ihre Studie besiedelten die Forscher den Darm von speziell gezüchteten, bakterienfreien Mäusen mit Clostridia-Bakterien. Das sind Keime, die natürlich in der Darmflora vorkommen. Wenn sie aber überhand nehmen – etwa nach Antibiotika-Einnahme – kann das zu Entzündungen oder Durchfällen führen. Bei den Labormäusen zeigten diese Bakterien aber auch ein gewisses schützendes Potenzial gegen Allergien. Offenbar hemmen die Mikrorganismen den Übergang von Antigenen (allergieauslösenden Stoffen) vom Darm ins Blut – und damit ihre Verteilung im Körper.
Den Clostridia-Ansatz findet Prim. Daniel Blagojevic, Leiter des Wiener Allergieambulatoriums Rennweg, interessant: „Gewisse Mechanismen laufen im Organismus von Mäusen und Menschen durchaus ähnlich ab. Werden Allergene anders verdaut, kann ich mir gut vorstellen, dass dies auch Auswirkungen auf die Immunreaktion hat.“ Dieser Ansatz müsse aber sicherlich noch weiter beforscht werden.
Schon länger bekannt ist der große Einfluss des Darms auf die Barrierefunktion des Immunsystems. Das sogenannte „Mikrobiom“ (das im Darm ansässige Keimspektrum)„wehrt sich mit den von Natur aus im Darm ansässigen Keimen gegen andere bedrohliche Bakterien und bildet – in Analogie zur der Haut – eine Barriere gegen Stoffe, die in den Körper eindringen."
Immunsystem-Training
Oft glauben Eltern mit Allergien oder Unverträglichkeiten, die längstmögliche Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel schütze ihr Kind. Dafür gibt es allerdings keine wissenschaftlichen Beweise. „Gesichert ist, dass Stillen einen positiven Einfluss auf die Bildung des kindlichen Immunsystems hat.“ Blagojevic empfiehlt „mit Beginn der Beikost den Organismus möglichst früh in Kontakt mit neuen Stoffen zu bringen, um ihn zu trainieren.“ Allgemeine Empfehlungen seien generell schwierig. Neueste Studien zeigen aber, dass etwa frühe Beikost mit Fisch-Eiweiß einen schützenden Einfluss auf die Entstehung von Allergien habe.
Bei der Geburt ist der Darm übrigens praktisch keimfrei – Wochen später ist er dicht mit Bakterien besiedelt. Forscher der Washington University School of Medicine in St. Louis fanden heraus, dass die Reihenfolge dabei immer dieselbe ist. Wie dies gesteuert wird, ist unklar.
Vermutet wird eine Steuerung durch das Immunsystem. Über mehrere Wochen wurden Stuhlproben von 58 Frühgeborenen untersucht. Drei Bakterien-Klassen dominierten: Bacilli, Gammaproteobakteria und Clostridia – und zwar immer in dieser Reihenfolge. Die Verteilung unterscheide sich sehr von jener älterer Kinder oder Erwachsener.
10 Tipps bei Verdauungsbeschwerden
Grazer Forscher von Medizinischer Uni, Uni und TU waren bei der Entschlüsselung anderer Darm-Mechanismen erfolgreich. Sie konnten jenen Mechanismus aufklären, der für Darmentzündungen mit blutigem Durchfall bei Antibiotika-Verwendung verantwortlich ist.
Antibiotika können das mikrobielle gleichgewicht im Darm massiv stören und für ein Ungleichgewicht mit Folgen sorgen. Denn das Wachstum gewisser Stämme des an sich harmlosen Bakteriums Klebsiella oxytoca wird durch die Verwendung von Antibiotika begünstigt.
Dieses kann genetische Veränderungen entwickeln und das Toxin Tivallin bilden. Es wurde bisher nicht mit menschlichen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Im Darm zerstört Tivallin Zellen der Darmschleimhaut. Dadurch kann die Barriere zwischen Darmbakterien und Körper nicht aufrecht erhalten werden – blutige Durchfälle sind die Folge. Wird das Antibiotikum abgesetzt, reduziert sich Klebsiella oxytoca wieder.