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Blinddarm-OP: Antibiotika statt unters Messer

Antibiotika statt Blinddarmoperation: Was in Kriegs- und Krisensituationen in der Not einer zu weit entfernten Klinik schon Leben rettete, rückt auch in der westlichen Spitzenmedizin zunehmend als Behandlungsoption in den Fokus. Jetzt zeigt eine neue Studie, dass ein großer Teil der Patienten mit Blinddarmentzündungen möglicherweise von dieser Therapie profitiert und Operationen überflüssig werden könnten.

Für die bisher größte Untersuchung zu diesem Thema hatten finnische Forscher vom Turku University Hospital mehr als 530 erwachsene Patienten mit komplikationslosen Blinddarmentzündungen in zwei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe erhielt als Therapie ein Breitband-Antibiotika, während bei der anderen der entzündete Appendix (Wurmfortsatz) entfernt wurde. Im Fachmagazin Jama berichtet Studienleiterin Paulina Salminen, dass die Entzündung bei drei Viertel der Patienten in der Antibiotika-Gruppe (186 von 256) abklang und die Entzündung auch im folgenden Jahr nicht erneut auftrat.

Seit 100 Jahren Routine

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Es sei daher an der Zeit, die seit mehr als 100 Jahren übliche, routinemäßige operative Entfernung des Blinddarms zu überdenken, fordern die Autoren. Damals hatte der spätere britische König Edward VII. erheblich zum Siegeszug der Blinddarmoperation beigetragen. Er war kurz vor seiner Krönung erkrankt und wurde am 24. Juni 1902 operiert. Seither entwickelte sich diese Technik zur häufigsten Operation im Unterleib. Mit einer frühen Entfernung – auch bei einer unauffälligen Entzündung – soll verhindert werden, dass sich gefährliche Infektionen im Bauchraum entwickeln. Und: was einmal weg ist, kann sich schließlich nicht wieder entzünden.

Das ist auch einer der Schwachpunkte des Antibiotika-Einsatzes. Die Medikamente wurde zwar schon in früheren Studien erfolgreich getestet. Immer wieder musste allerdings ein Teil der Patienten trotz Antibiotika-Gabe operiert werden. In der aktuellen finnischen Studie kamen etwa 27 Prozent der Probanden unters Messer, weil sich nicht die gewünschte Wirkung zeigte. Das Antibiotikum gelangt über das Blut in die Darmgefäße und soll dort die Entzündung bekämpfen, die unbehandelt zum gefährlichen Blinddarmdurchbruch führen kann (siehe Grafik). Eine 2011 in The Lancet erschienene, britische Überblicks-Studie zeigte weiters, dass die Komplikationen geringer waren als nach Operationen.

Nicht für die Praxis

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Für die Praxis haben die Studienerfolge jedenfalls noch zu wenig Gewicht, betont Chirurg Univ.-Prof. Albert Tuchmann, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie. "Das ist keine Standard-Behandlung." Man müsse berücksichtigen, dass der Antibiotika-Einsatz immer unter kontrollierten Bedingungen im Klinikumfeld erfolgte. "In der freien Praxis wäre das Risiko zu groß." Abgesehen von den allgemeinen Operationsrisiken gilt die Blinddarmoperation als kein riskanter Eingriff.

Manchmal werde ohnehin zugewartet. "Eine Studie aus dem Universitätsspital in Bern zeigte, dass eine Blinddarmoperation – wenn kein Verdacht auf Blinddarmdurchbruch bestand - in den Nachtstunden (22 bis 8 Uhr, Anm.) gar nicht nötig sei und ohne höheres Risiko auf den folgenden Vormittag verschoben werden könne. Man kann die Nacht mit Antibiotika überbrücken." Aber jeder Blinddarm-Patient ist individuell. "Antibiotika können nur angedacht werden, wenn kein Blinddarmdurchbruch droht. Und der muss ohnehin sofort operiert werden."

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