Bisher umfassendste Transplantation eines Gesichts
Von Ernst Mauritz
4. August 2015, früher Morgen im „NYU Langone Medical Center“ in New York: Ein Team von mehr als 100 Ärzten, OP-Schwestern und
-Pflegern sowie OP-Assistenten und technischem Personal teilt sich auf zwei Operationssäle auf: In einem befindet sich der 26-jährige hirntote BMX-Sportler David Rodebaugh, 26, der bei einem Fahrradunfall in Brooklyn starb. Und im anderen liegt der Feuerwehrmann Patrick Hardison, 41, aus Mississippi. Er hatte im September 2001 – nur wenige Tage vor 9/11 – bei einem Einsatz schwere Gesichtsverbrennungen erlitten: Ein brennendes Hausdach war über ihm eingestürzt. 26 Stunden sind die Spezialisten im Einsatz und führen die bisher umfassendste und komplexeste Gesichtstransplantation durch. Am Morgen des 15. 8. ist es so weit: Hardison hat ein neues Gesicht.
US-Mediziner haben nach eigenen Angaben die bisher umfassendste und komplexeste Gesichtstransplantation vollführt. Dem nach einem Löscheinsatz schwer entstellten Feuerwehrmann Patrick Hardison wurden ein neues Gesicht, Kopfhaut, Ohren, Gehörgänge und Teile der Knochen von Kinn, Wangen und Nase verpflanzt, wie die Klinik NYU Langone Medical Center in New York berichtete.
Ein Jahr warten
Hardison musste mehr als ein Jahr warten, bis ein in Alter, Größe, Haut- und Haarfarbe passender Spender gefunden war, dessen Familie dem Eingriff zustimmte. Im August starb der 26-jährige BMX-Sportler David Rodebaugh bei einem Verkehrsunfall - und seine Mutter stimmte der Organspende zu.
Die erste Gesichtstransplantation wurde im Jahr 2005 bei einer Französin vollführt, deren Gesicht von ihren Hunden zerfleischt worden war. Seither gab es eine Reihe von zunehmend komplexeren derartigen Operationen. Nachstehend eine Übersicht:
20 Transplantationen bisher weltweit
2005 In Frankreich findet die erste teilweise Gesichtstransplantation statt. Isabelle Dinoire war von ihrem Hund gebissen worden.
2010 In Barcelona wird an einem Patienten die erste vollständige Gesichtstransplantation der Welt vorgenommen.
2012 In einem 36-stündigen Eingriff verpflanzten Ärzte der Uni-Klinik von Maryland Richard Lee Norris (siehe nachstehende Bilderreihe) ein vollständiges Gesicht vom Haaransatz bis zum Hals sowie Ober- und Unterkiefer, Zähne und Zunge. Es ist die bisher umfangreichste Transplantation.
2013 Ein polnischer Steinmetz erhält die erste lebensrettende Gesichtstransplantation. Er hatte sich lebensgefährlich mit einem Steinschneider verletzt. Insgesamt gab es bisher weltweit ca. 20 Gesichtstransplantationen.
2015 In einer 27-stündigen Operation haben Ärzte in Spanien einem an schweren Fehlbildungen leidenden Patienten teilweise ein neues Gesicht eingepflanzt.
Ein Video über die Geschichte von Patrick Hardison sehen Sie hier:
Was ein österreichischer Experte sagt
Univ.-Prof. Lars-Peter Kamolz ist Leiter der Klinischen Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im LKH-Univ.-Klinikum Graz.
KURIER: Wann wird eine Gesichtstransplantation in Erwägung gezogen?
Lars-Peter Kamolz: Häufig sind es Patienten mit schweren Schussverletzungen oder schweren Verbrennungen, bei denen es wirklich keine andere Möglichkeit mehr gibt, eine gute Rekonstruktion herzustellen. Bei den meisten Patienten finden wir allerdings mit konventionellen Verfahren das Auslangen , indem wir Hautlappen oder Knochenteile aus anderen Körperregionen verwenden.
Wäre so ein Eingriff auch in Österreich möglich?
In großen Zentren, wo es neben der plastischen Chirurgie auch eine Transplantationschirurgie gibt, auf jeden Fall. Wir haben uns in Graz intensiv damit befasst und hatten auch schon eine konkrete Anfrage aus dem Ausland. Auch da reichten unsere konventionellen Methoden aus. Dass in den vergangenen zehn Jahren weltweit nur etwas mehr als 20 derartige Eingriffe gemacht wurden zeigt, dass die Zahl solcher komplexer Verletzungen recht gering ist. Es sind nur die Patienten wie dieser Feuerwehrmann, die sonst kein für sie mehr lebenswertes Leben führten könnten, weil sie sich z. B. nicht mehr in die Öffentlichkeit trauen. Die Patienten müssen ja auch ein Leben lang Medikamente gegen die Abstoßung nehmen.