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"Tschuri": Alles Leben kommt vom Kometen

"Rosetta" noch eine Chance geben, statt die Raumsonde zum Absturz bringen: Instinktiv hätte sich Kathrin Altwegg dafür entschieden, als sie Ende September zusehen musste, wie die treibstoffschwache Raumsonde auf dem Kometen "Tschurjumow-Gerasimenko" aufschlug.

Mehr als 18 Jahre arbeitete die Schweizer Astrophysikerin als Leiterin des Vorzeigeprojekts. Ihr Team an der Universität Bern lieferte das Massenspektrometer ROSINA, das an Bord von "Rosetta" ins All reiste: Dort schnüffelte es, salopp gesagt, am Kometen "Tschuri". Das Spektrometer untersuchte die Teilchen in seiner Atmosphäre und ermittelte deren chemische Zusammensetzung.

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Wer dachte, dass mit "Rosettas" Crash auf dem Kometen alles vorbei sei, irrt. Für Wissenschaftler wie Kathrin Altwegg beginnt jetzt die eigentliche Arbeit. Die Daten sind Stoff für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre, schätzt die 64-Jährige. Aus diesem Grund ist sie auf Einladung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nach Wien gekommen. Im Gespräch mit dem KURIER erzählte die Forscherin, was man aus der Mission lernen kann.

Zum Beispiel, dass Kometen an der Entstehung der DNA auf der Erde beteiligt waren. Etwa ein Viertel der Edelgase in der Erdatmosphäre stammt wahrscheinlich von Kometen, erklärt Altwegg. "Sie haben Edelgase auf die Erde gebracht und damit auch organische Materialien. Und mit der Entdeckung von Aminosäuren wie Glyzin sowie einer Vielzahl von organischen Molekülen ist die These wahrscheinlicher geworden, dass Kometen mitgeholfen haben, das Leben auf der Erde zu entzünden."

Was die Kometen der Erde nicht gebracht haben: Wasser. Bisher ging man davon aus, dass sie durch Einschläge Ur-Meere und Ur-Ozeane auslösten. Die Analysen von "Tschuris" Ausdünstungen zeigten, dass es von anderen Quellen stammen muss. Vermutlich von wasserhaltigen Asteroiden, die sich näher an der Erdbahn bewegen als Kometen.

In der Astronomie zu landen, war nie der Plan von Kathrin Altwegg. Sie wollte Archäologin werden. Dass sie jetzt nicht in Wüsten, sondern im Weltraum forscht, nimmt sie mit Humor. "Die Jahreszahlen haben ein paar Nullen mehr, die Zielsetzung ist aber gleich: Woher kommen wir? Wie ist das alles abgelaufen?" Antworten auf diese Fragen lieferte die Mission "Rosetta". So weiß man heute auch, dass das Material wesentlich älter ist als das Sonnensystem. "Damit wird auch die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass es anderswo Leben gibt", erklärt die Astrophysikerin.

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Denn: "Es gibt so viel Sterne da draußen, fast jeder hat seinen Planeten." Stellt sich nur die Frage, in welcher Form. Eine Kontaktaufnahme hält die Expertin für unmöglich: "Wir können seit gut 100 Jahren funken, vorher hörte man uns nicht. Also müssten die anderen auch funken können und nichts benutzen, was wir vielleicht nicht verstehen." Scheitern wird es auch an der Übertragungsgeschwindigkeit: "Wenn unser Signal 2000 Jahre braucht, bis es es wo ist, und die Antwort in 4000 Jahren kommt, hat die Menschheit schon vergessen, dass sie je etwas geschickt hat."

Leben finden

Darauf wollen sich Abenteurer und Wissenschaftler nicht verlassen. Sie träumen von der Reise zu fremden Planeten. Etwa zum Mars. Bemannte Missionen, wie sie auch die NASA anstrebt, hält die Astrophysikerin für einen Traum, der noch lange einer bleibt. "Der Mensch ist nicht für den Weltraum gemacht", sagt Altwegg. Während der zweijährigen Reise zum Roten Planeten könne es zu einem Sonnensturm kommen, bei dem die Crew innerhalb eines Tages stirbt. Auch die Dosis an kosmischer Strahlung wäre nach dieser langen Zeit im All zu hoch – und sie wäre tödlich. "Astronauten einfach raufzuschicken, wäre unethisch. Ein Staat kann sich das nicht leisten, die NASA auch nicht." Der Mars ist ein harter Brocken, dessen geringe Schwerkraft für den menschlichen Körper ebenfalls problematisch wäre.

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Wesentlich einfacher ist es hingegen, auf einem Kometen zu landen. Auch wenn die Landung holprig verlaufen kann, wie sich das bei der "Rosetta"-Mission zeigte. Ergebnisse gibt es dennoch unzählige – und die wird Kathrin Altwegg bearbeiten, wenn sie demnächst in Pension geht. Zum Beispiel, wie das Eis des Kometen zusammengesetzt ist. Und ob es auf dessen Kopf und Bauch verschiedene Formen hat. Die beiden Hälften kamen nämlich später zusammen, berichtet die Expertin.

Zuletzt konnten sie und ihr Team, kurz vor dem Absturz im September, Daten aus nächster Nähe sammeln. Eine Herausforderung: "Bei zehn Instrumenten an Bord mussten Prioritäten gesetzt werden – etwa, welche Daten zuerst geschickt werden." Ganz vorne war die Kamera, um den Kometen noch einmal aus nächster Nähe abzulichten. Gleich danach die ROSINA-Messinstrumente. "Wir haben im Notmodus gearbeitet, alles wurde sofort runtergeschickt."