So wird das Immunsystem winterfit
Von Ingrid Teufl
Rinnende Nase, häufiges Niesen, Husten oder Halsschmerzen: Hat es Sie heuer auch schon erwischt? Pünktlich mit Beginn der kalten Jahreszeit haben die Viren wieder Hochsaison – Erkältungen oder grippale Infekte machen dem menschlichen Immunsystem zu schaffen. Das hat mit verschiedenen Faktoren zu tun.
So sind Erkältungsviren perfekte Überlebenskünstler – das kommt ihnen in der kalten Jahreszeit zugute. Mehrere hundert verschiedene Arten gibt es, davon sind es allein rund 150 Rhinoviren, die den lästigen Schnupfen auslösen. Was den Viren gefällt, ist dem Menschen ein Graus. Der Organismus ist von Haus aus nicht perfekt gegen Kälte geschützt. Das versucht der Körper auszugleichen, indem sich die Gefäße zusammenziehen und die Durchblutung in den Händen, Beinen sowie den Atemwegen gedrosselt wird.
Diese als Schutz gedachten Maßnahmen machen das Immunsystem allerdings anfälliger für Eindringlinge von außen. Erst recht, wenn es zum Beispiel durch Stress oder Schlafmangel ohnehin schon geschwächt ist. Dazu kommen selteneres Lüften und ausgetrocknete Atemwege durch die Heizung.
Vor allem respiratorische (die Atemwege betreffende) Viren haben da leichtes Spiel in den Schleimhäuten. Dort befinden sich die Haupteintrittsstellen für die Krankheitserreger. Gemeinsam mit den Rhinoviren sind sie für rund 80 Prozent der grippalen Infekte verantwortlich. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Diese unterscheiden sich deutlich von der echten Grippe – auch Influenza genannt (siehe dazu Grafik auf Seite 2).
Doch egal, ob Grippe oder Erkältung: Im Normalfall reagiert das Immunsystem – die Körper-Polizei – auf Invasoren, die in Körperzellen eindringen und sich dort vermehren, mit einem ausgeklügelten Abwehrprogramm. Abwehrzellen (B-Lymphozyten) erkennen die Viren und beginnen, Antikörper zu produzieren. Das dauert allerdings einige Tage.
Killer-Zellen aktivieren
Diese Killer-Zellen haben wiederum auf ihrer Oberfläche bestimmte Rezeptoren, mit denen sie das Virus angreifen können. Sie töten die Zellen samt den darin enthaltenen Viren. Ebenso werden Antikörper gebildet, die die Zellen umschließen. Beide Maßnahmen verhindern, dass sich die Erreger weiterhin im Körper verteilen.
Doch auch die hartnäckigste Erkältung hat ihre guten Seiten. Das Abwehrprogramm stärkt den Körper und wappnet ihn für nachfolgende Viren-Attacken, da bestimmte Eindringlinge nun bereits bekannt sind. So können die Antikörper schneller reagieren.
Am besten also den Übeltätern gar keine Angriffsfläche geben. Heißt: das Immunsystem stärken. Je besser es funktioniert, desto effektiver kann es gegen Eindringlinge ankämpfen – und desto schneller ist eine Infektion überstanden. Wie das gelingt, dafür gibt es unzählige Rezepte. Doch welche davon bringen wirklich etwas – und welche sind einfach nur hartnäckige Mythen? Eine Übersicht.
Mythos: Vitamin C schützt vor Erkältungen.
Gerade in der kalten Jahreszeit greifen viele zu Vitamin-C-Präparaten, um sich gegen Erkältungen zu wappnen. Neueste Studien zeigen aber, dass das vergebens ist. Eine große Übersichtsarbeit aus dem heurigen Jahr kam zum Ergebnis, dass Vitamin C (etwa 200 mg zu den Mahlzeiten) die Häufigkeit von Erkältungen nicht verringert. Das fanden Experten der unabhängigen Cochrane Collaboration 2005 heraus. Sie hatten 55 Studien aus 65 Jahren zum Thema Vitamin C analysiert. Wer großen körperlichen Belastungen ausgesetzt ist, bei dem reduziert Vitamin C zumindest die Anzahl der Erkältungen um die Hälfte. In den Studien traf dies etwa auf Marathonläufer, Soldaten oder skifahrende Kinder zu.
Den täglichen Bedarf an Vitamin C definiert die Österreichische Gesellschaft für Ernährung mit 100 mg. Dieser lasse sich gut mit Obst und Gemüse abdecken. 100 Gramm Paprika enthalten etwa 115 mg, Brokkoli 95 mg, Orangen 45 mg davon.
Mythos: Regelmäßiger Sport verhindert Schnupfen.
In dieser Frage sind sich Wissenschaftler uneinig. In einer finnischen Kohortenstudie mit 3470 Männern, die zwei Jahre lang kontrolliert wurden, zeigten sich keine schützenden Effekte durch körperliche Betätigung. Studienleiter Harri Hemilä von der Universität Helsinki rät vom Tipp, Sport schütze vor Erkältungskrankheiten, ab. "Es gibt keine guten Beweise dafür." Im fernen Korea kam Se Young Pyo (University College of Medicine, Seoul) allerdings in einer Meta-Analyse mehrerer Studien zu einem positiveren Ergebnis. Um etwa ein Viertel lasse sich mit körperlicher Betätigung die Erkrankungshäufigkeit senken. Er vermutet, dass Sport die Aktivität von Killerzellen und die Konzentration von Antikörpern anregt.
Hat man sich allerdings wirklich bereits Grippe- oder Erkältungsviren eingefangen, ist Sport kontraproduktiv. Das gefährdet den ohnehin bereits angeschlagenen Kreislauf. Eine nicht ausgeheilte Grippe oder Erkältung kann eine Herzmuskelentzündung verursachen und sogar lebensbedrohlich werden.
Mythos: Männer leiden stärker.
Schon bei einem Schnupfen neigen viele Vertreter des "starken Geschlechts" dazu, sich als todkrank zu deklarieren – ihre Partnerinnen wissen davon ein Lied zu singen. Doch es liegt ein Körnchen Wahrheit im "Männerschnupfen", zeigt der noch junge Forschungszweig Gender-Medizin. Die Immunologin Beatrix Grubeck-Loebenstein von der Uni Innsbruck erklärt, dass sich der unterschiedliche Hormonhaushalt der Geschlechter tatsächlich auf die Abwehrreaktion des Körpers auswirkt: " Östrogen stimuliert das Immunsystem, Testosteron unterdrückt die Funktion der Abwehrzellen." Ein Freibrief für leidende Männer ist das nicht, betont Grubeck-Loebenstein. Unterschiede im Leidensdruck sind nicht zwangsläufig hormonell zu erklären. "Darauf können allemal Psychologen eine Antwort geben."
Mythos: Kälte härtet ab.
Bei Wärme erweitern sich Blutgefäße und Schleimhäute automatisch, bei Kälte ziehen sie sich zusammen. Letzteres drosselt die Durchblutung – wir frieren. Doch manche schwören auf kurze Kälteschocks zur Virenabwehr. Das bringt laut einer Amsterdamer Untersuchung wenig. Drei Monate lang mussten rund 1500 Personen am Ende ihrer täglichen Dusche bis zu 90 Sekunden unter eiskaltem Wasser ausharren, die gleich große Vergleichsgruppe durfte wie gewohnt warm duschen. Während der Versuchsperiode stellten die Forscher keine signifikanten Unterschiede der Krankheitstage fest. Die Warm-Kalt-Duscher fühlten sich aber kraftvoller und vitaler sowie weniger heftig und sogar seltener krank. Das Wechselspiel von Kalt und Warm, etwa bei Wechselduschen oder Saunagängen, hat also durchaus positive Effekte. Im Schleimhautsekret steigt die Anzahl bestimmter Immunglobuline – das blockiert das Eindringen von Krankheitserregern.
Mythos: Erst bei Fieber muss man ins Bett.
Für viele beginnt Kranksein erst mit Fieber. Doch der Körper braucht auch ohne es Kraft, um gegen Viren anzukämpfen. Daher ist Ruhe das wichtigste Medikament, wenn es einen erwischt hat – egal, ob starker Schnupfen oder grippaler Infekt.
Mythos: Eine Grippe-Impfung verhindert eine Erkrankung.
Die jährliche Grippe-Welle tritt in unseren Breiten meist im Jänner und Februar auf. Leider können auch Geimpfte erkranken, denn der Impfschutz beträgt etwa 60 Prozent. Allerdings verläuft die Erkrankung meist milder als bei nicht Geimpften, da der Körper bereits Antikörper aufbauen konnte, sagen Experten. Beim Impfstoff handelt es sich um Bestandteile von Viren. Die Zusammensetzung wird von der WHO alljährlich neu definiert, um alle kursierenden Virenstämme abzudecken.
Mythos: Antibiotika oder Anti-Grippe-Mittel helfen bei den geringsten Beschwerden.
Mitnichten! Tatsächlich sind Antibiotika im Fall einer von Viren ausgelösten Erkrankung wirkungslos, weil sie gegen Bakterien- und Pilzinfektionen eingesetzt werden. Ein unreflektierter, häufiger Einsatz kann sogar das Risiko für Antibiotikaresistenzen erhöhen. Die Anti-Grippe-Mittel wie Tamiflu oder Relenza sind hingegen Neuraminidase-Hemmer und mindern die Krankheitsdauer nur, wenn sie innerhalb von 48 Stunden nach dem Auftreten der ersten Grippe-Symptome (Fieber) eingenommen werden.