Wie Implantate das Hören ersetzen
Von Ernst Mauritz
Sophie, 13, aus Niederösterreich hat sich nie "anders" gefühlt. Sie wurde 2004 gehörlos geboren. Mit 14 Monaten erhielt sie im rechten Ohr, mit zwei Jahren dann auch im linken ein Cochlea-Implantat (CI): "Als kleines Kind waren die Implantate für mich nichts anderes als bei anderen Kindern eine Brille – etwas ganz Normales, Alltägliches. Erst später habe ich verstanden, dass dem nicht ganz so ist. Aber trotzdem passt für mich der Vergleich mit der Brille gut. Mit dem CI kann ich alles hören – nur wenn jemand sehr undeutlich spricht, höre ich ihn nicht."
"Auch für mich war das Cochlea-Implantat immer die Normalität", sagt Mariella Sturz, 21, Jus-Studentin in Wien. Sie war 1997 eines der ersten Kinder in Österreich, die ein solches Implantat erhielten. Damals war sie eineinhalb, beim zweiten Implantat drei Jahre alt.
Vor 40 Jahren, im Dezember 1977, setzte am Wiener AKH der HNO-Chirurg Kurt Burian das weltweit erste mehrkanalige, mikroelektronische Cochlea-Implantat ein – dieses kommt dem natürlichen Hören am Nächsten. Entwickelt hatten es Ingeborg und Erwin Hochmair, damals Wissenschaftler an der TU Wien. Sie gründeten 1990 die Firma MED-EL in Innsbruck, Technologieführer bei Hörimplantaten.
OP im ersten Jahr
"Heute operieren wir bereits im Alter zwischen sechs und zwölf Monaten", sagte Wolf-Dieter Baumgartner von der HNO-Uni-Klinik am AKH Wien (MedUni Wien) vor kurzem bei einer Veranstaltung des Club Alpha. Baumgartner ist einer der Pioniere auf dem Gebiete der Hörimplantate.
Kandidaten für ein Implantat sind gehörlos geborene Kinder (jährlich sieben bis zehn in Österreich). "Dazu kommen Kinder, die später ihr Gehör verlieren – aufgrund eines Unfalls, einer Vergiftung, einer Infektion." Auch ältere Menschen, die von hochgradigem Hörverlust betroffen sind, profitieren von einem Implantat. Ihnen hilft kein herkömmliches Hörgerät mehr, weil dieses akustische Signale nur verstärken, aber nicht den Hörnerv stimulieren kann.
"Große Probleme im Alltag gibt es nicht", betonen Sophie Adzic und Mariella Sturz. Für Sophie "ist es etwas schwieriger, wenn Menschen ihr Gesicht von mir wegdrehen und reden. Ich schaue oft auf die Lippen um zu verstehen, was andere sagen". Aber, ergänzt Baumgartner, "das ist auch bei einem Hörenden so, weil die Schallwelle eine gerichtete Welle ist".
"Ich würde auch nicht von Problemen, sondern da und dort von gewissen Einschränkungen reden", sagt Mariella: "Bin ich in einem Club, wo es laut ist, höre ich nicht so gut, aber die Menschen, mit denen ich unterwegs bin, die wissen das und achten darauf – das kann man alles lösen."
Nur eine problematische Sache
Eine problematische Sache gibt es allerdings schon, betont Mariellas Mutter Dominique Sturz: "Wenn ein Kind noch klein ist und der Außenteil des Hörsystems verloren geht. Das löst dann bei allen Beteiligten eine Notsituation aus."
Für viele Familien ist die Entscheidung zur Operation nicht leicht: "Sophie war ja ein gesundes Baby. Bei der Operation wird an der Schädeldecke gleich neben dem Gehirn gefräst – das hat uns anfangs schon beunruhigt", erzählt ihre Mutter, Susanne Adzic-Frey. Doch Wolf-Dieter Baumgartner kann Eltern beruhigen: "Es ist der sicherste Eingriff im HNO-Bereich. In der Regel machen ihn nur Chirurgen, die Top-Spezialisten sind und das auch wirklich gut können. Komplikationen sind extrem selten."
Eine Welt geöffnet
Hochgradig hörbeeinträchtigte Kinder können mit einem Cochlea-Implantat Sprachen genauso lernen wie von Natur aus hörende Kinder. "Mariella erhielt mit eineinhalb und drei Jahren (links und rechts, Anm.) die Implantate relativ spät – aber sie hatte bis zum Schuleintritt die Hör- und Sprachentwicklung komplett nachgeholt", erinnert sich Mutter Dominique Sturz: "Durch das Implantat wird eine Welt geöffnet, die sonst verschlossen wäre." Generelle Einwände gehörloser Eltern gegen Implantate gebe es heute kaum mehr, sagt Baumgartner.
Eltern haben die meiste Arbeit
"Die wenigste Arbeit hat der Chirurg, die Operation dauert zwischen 40 Minuten und zwei Stunden. Die meiste Arbeit haben die Eltern, und hier – das hat eine Studie gezeigt – die Mütter", weiß der HNO-Chirurg. "Denn in der Regel sind sie es, die mit dem Kind – unterstützt von einer Logopädin – das Hören und Sprechen üben."
Alternativen zu den Implantaten sind keine in Sicht: "Nahezu alle Versuche mit Stammzellen waren erfolglos – man konnte zwar Haarzellen züchten, aber es gelang nicht, dass sie ihre Funktion übernehmen." Und auch die Gentherapie sei auf diesem Gebiet nicht Erfolg versprechend: "Es sind mehr als 110 Gene identifiziert, die eine Rolle spielen." Fazit von Baumgartner: "Ein Kind früh zu behandeln erhöht seine Chance, später im Leben seinen ganz eigenen Weg selbstständig zu gehen."
Wie ein Cochlea-Implantat funktioniert
Ein Cochlea-Implantat ersetzt die funktionsuntüchtigen Haarzellen in der Hörschnecke (Cochlea) im Innenohr. Das System besteht aus zwei Teilen. Hinter dem Ohr befindet sich der Audioprozessor (siehe Bild unten).
Er wandelt die Schallsignale in digitale Informationen um. Das Implantat selbst ist unter der Haut und mit dem Prozessor magnetisch verbunden. Es entschlüsselt die Informationen und sendet elektrische Pulse an eine Elektrode mit mehreren Kontaktpunkten („mehrkanalig“) in der Hörschnecke. So werden die Fasern des Hörnervs stimuliert.
Technologie aus ÖsterreichJährlich werden in Österreich rund 500 Hörimplantate eingesetzt (30 Prozent Kinder, 70 Prozent Erwachsene). Die österreichische Firma MED-EL mit ihrer Zentrale in Innsbruck beschäftigt heute rund 1800 Mitarbeiter weltweit und ist in 115 Ländern und mehr als 2800 Kliniken vertreten.