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11 Jahre Koma: Eingesperrt im eigenen Körper

Alles ist normal – bis es Martin Pistorius immer schlechter geht. Als er zwölf Jahre alt ist, verliert er seine Sprache, die Kontrolle über seinen Körper und fällt nach wenigen Monaten ins Koma. Die Ärzte diagnostizieren eine Hirnhautentzündung und vermuten, dass Martin in diesem vegetativen Zustand bleiben wird. Sie gehen davon aus, dass der Bub hirntot ist und sterben wird. Den geschockten Eltern wird geraten, sich in seinen letzten Tagen um ihn zu kümmern.

Doch anders als die Menschen um ihn herum glauben, kann Martin Pistorius – zwar nicht gleich, aber ein paar Jahre später - hören und verstehen, was um ihn herum passiert. Nur mitteilen kann er sich nicht – der Südafrikaner ist gefangen im eigenen Körper. Nicht einmal seine Augenlider kann er bewusst steuern. Dieser albtraumhafte Zustand ist eine Form des sogenannten Locked-in-Syndroms (deutsch: Eingeschlossensein-Syndrom). Betroffene sind zwar bei Bewusstsein, körperlich jedoch meist vollständig gelähmt. Sie können sich weder sprachlich noch durch Bewegung verständlich machen. Nach außen hin sieht es aus, als ob sie im Koma wären.

"Ich bin da!"

Pistorius selbst ist die ersten Jahre tatsächlich in einer Art „Nebelzustand“, wie er es heute beschreibt. Erst im Alter von 14 oder 15 Jahren erkennt er seine Lage. „Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmt“, erzählte er Jahre später der britischen Fernsehsendung „The Wright Stuff“. „Man kann es ungefähr so beschreiben, wie wenn man versucht von einem Traum aufzuwachen, es aber nicht gelingt.“ Zwischen 16 und 19 erlangt er das Bewusstsein völlig zurück. Er kann nun alles um ihn herum einordnen, erkennt immer mehr, dass er alleine mit seinen Gedanken ist. Besonders sein Vater kümmert sich in dieser Zeit um Pistorius. „Ich habe versucht, ihm mitzuteilen, dass ich zurückkehre, wollte meinen Arm bewegen. ,Dad, ich bin da! Kannst du es nicht sehen?‘ Aber es funktionierte nicht“, sagt der heute 39-Jährige.

Wendepunkt

Seine Eltern kümmern sich ständig um ihn, bringen ihn untertags in eine Betreuungseinrichtung, holen ihn abends wieder ab. Martin bekommt alles mit, weiß, was seine Familie gerade erlebt, hat Angst, dass sie - wenn sie auf Urlaub fahren - nicht mehr zurückkommt, um sich um ihn zu kümmern. „Niemand dachte, dass ich etwas wahrnehme. Aber ich nahm sie nicht nur wahr, ich wusste auch, was sie erlebten, war genauso schockiert, aufgeregt oder traurig wie jeder andere.“ Er verfolgt, was weltweit passiert über Erzählungen von Besuchern und das Pflegepersonal in der Betreuungseinrichtung – Mandelas Präsidentschaft 1994, Lady Dianas Tod 1997 und andere Ereignisse.

Ein Wendepunkt für Martin Pistorius ist, als seine Mutter eines Tages zu ihm sagt: „Ich hoffe, du stirbst.“ Sie dachte, ihr Sohn bekommt diesen Satz nicht mit und hatte vermutlich Angst, dass er leiden könnte. Für Martin waren diese Worte der Start in den Versuch, sich zurückzukämpfen. Er fasste den Entschluss: Ich will leben. Er trainierte täglich positiv zu denken, seine Gedanken zu bündeln.

Erste Reaktionen

Es dauert zwei weitere Jahre bis seine Bemühungen erste Erfolge zeigen: Bei Tests entdecken die Ärzte Reaktionen. Seine Lage wird klarer, die Eltern schöpfen Hoffnung. Auch sein Körper zeigt Veränderungen: Er kann beispielsweise in einem Rollstuhl sitzen. Als er 26 Jahre alt ist, kann er sich mithilfe eines Computerprogramms mitteilen, sein Körper beginnt sich immer mehr zu regenerieren. Er kehrt ins Leben zurück.

Seine Sprache bleibt zwar verloren – auch heute kommuniziert er mithilfe des Computers. Doch sein Leben ist vergleichbar mit dem gesunder Menschen. Er kann arbeiten, gründete eine eigene Firma und heiratete 2009. Heute ist er 39 Jahre alt, Webdesigner und lebt mit seiner Frau in England. Anders als bei den meisten Locked-in-Patienten gibt es für Martin Pistorius ein Happy End, das er in einem Buch niedergeschrieben hat. Heute sagt er mit Humor: „Ich bin glücklich mit dem, der ich bin. Das Leben hat seine Herausforderung, aber andererseits, wessen Leben hat das nicht?“

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Das Buch "Als ich unsichtbar war.Die Welt aus der Sicht eines Jungen, der 11 Jahre als hirntot galt" ist im Bastei Lübbe Verlag erschienen, 8,99 €.

ISBN: 978-3-404-60356-5

Martin Pistorius im Web