Wirtschaft

Wo der Weltwirtschaft die Luft ausgeht

Während sich die Erde auf ihren gewohnten Bahnen dem Jahreswechsel entgegen dreht, läuft der Motor der Weltwirtschaft nicht so rund. Seine Drehzahl ist derzeit nicht hoch genug. Die Drei-Prozent-Marke beim Wirtschaftswachstum wird nicht überschritten.

"Die Weltwirtschaft wird heuer nur um 2,6 Prozent wachsen, das entspricht dem Niveau der vergangenen drei Jahre", sagt Greg Sielewicz, Ökonom des internationalen Kreditversicherers Coface, zum KURIER. "Für 2016 rechnen wir mit einer globalen Beschleunigung um 0,3 Prozentpunkte auf 2,9 Prozent." Doch dieser Zuwachs könnte schnell wieder verpuffen. Denn: Einzelne Märkte sind mehr oder weniger große Sorgenkinder.

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Sorgenkind China

Das größte Risiko birgt China. Das Reich der Mitte ist – gemessen an der Kaufkraft – nicht nur die größte Volkswirtschaft der Welt, sondern es steuert auch ein Drittel zum globalen Wachstum bei.

Doch in China hat sich der Wirtschaftszuwachs von 7 auf 6,2 Prozent verlangsamt. Das Plus wird vorwiegend vom privaten Konsum und nicht von Finanzinvestitionen getragen. Dieser Rückgang betrifft auf den ersten Blick vor allem Thailand, Malaysia, Indonesien, Vietnam, die Mongolei und Korea sowie Hongkong. Sollte es zu weiteren wirtschaftlichen Verwerfungen in China kommen, gehen Ökonomen von einer viel breiteren Ansteckungsgefahr aus.

"China ist Deutschlands viertwichtigster Handelspartner", sagt der Coface-Ökonom. "Nicht der Volkswagen-Skandal, sondern die Abschwächung des Wachstums in China ist gefährlich für Deutschland und für viele andere Länder, auch in Osteuropa." Österreichs Exporte nach China sind heuer nur um 0,1 Prozent gestiegen.

Gehen Chinas Importe zum Beispiel um zehn Prozent zurück, sinke auch das Wachstum in Deutschland um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte. Da die deutsche Wirtschaft heuer nur um 1,5 Prozent zulegt und 2016 um 1,7 Prozent steigen wird, würde sich dieser Abschwung Chinas nicht nur deutlich auf Deutschland, sondern auch auf Österreich und Polen auswirken. "Deutschland ist der Haupt-Handelspartner beider Länder", sagt Sielewicz.

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Indes weist er daraufhin, dass die Zahlungsausfälle bei chinesischen Firmen künftig steigen werden. Bisher habe China den staatlichen und staatsnahen Betrieben in Schieflagen unter die Arme gegriffen. Das soll sich in Zukunft ändern.

Miese Zahlungsmoral

Österreichs zweitwichtigster Handelspartner ist nach wie vor Italien. Drei Jahre lang schrumpfte die Wirtschaft. "Nun erholt sich Italien dank des privaten Konsums", sagt der Versicherungsökonom. "Italiens Premier Matteo Renzi hat ambitionierte Reformen angekündigt, aber Italien braucht noch Zeit, damit man die Resultate dieser Reformen auch sehen kann."

In Italien herrscht allerdings noch immer eine schlechte Zahlungsmoral. Die Unternehmen begleichen ihre Rechnungen erst nach massiver Überschreitung der Zahlungsfristen – zum Teil gleich um mehrere Monate. "Das ist einzigartig in Europa", sagt der Volkswirt. "Seit dem Jahr 2009 hat sich da in Italien nichts verbessert."

Süd- und Osteuropa

Indes beträgt das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Osteuropa heuer drei Prozent, 2016 sollen es 3,1 Prozent werden.

"Auch hier trägt insbesondere die inländische Nachfrage das Wachstum", sagt Greg Sielewicz. "In Polen, in der Slowakei, in Ungarn und der Tschechischen Republik ist die Arbeitslosenrate gesunken, das stärkt den privaten Konsum." Auch die geringe Inflation in Ländern Ost- und Südosteuropas stärkt die private Nachfrage. In Rumänien griff die Regierung ein und senkte Mitte 2015 die Umsatzsteuer auf Lebensmittel von 24 Prozent auf 9 Prozent. "Der Umsatz wurde dadurch in die Höhe getrieben", weiß der Coface-Experte. Die positiven Signale in vielen Ländern Zentral- und Osteuropas bedeuten aber nicht, dass diese risikofreie Destinationen sind. "Es gibt nach wie vor viele Herausforderungen für diese Länder", sagt Sielewicz.

Und auch die großen Schwellenländer Russland und Brasilien muss man im Fokus haben. Auch sie beeinflussen die Weltwirtschaft – derzeit aber negativ. "Russland und Brasilien stecken aktuell in einer durchaus tiefen Rezession", sagt der Ökonom. "2016 wird die Rezession in beiden Ländern anhalten, aber etwas abgemildert ausfallen."

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Im neuen Jahr werden die Unternehmenspleiten in Europa stagnieren und sich bei 190.000 Fällen einpendeln. Deutliche Rückgänge (zehn Prozent) werden in Irland, Portugal und Spanien sowie in Italien und Schweden (je acht Prozent) erwartet. Aber auch in Ungarn, Polen, Tschechien und in den Niederlanden sollen die Insolvenzen zwischen drei und fünf Prozent sinken. In Deutschland wird das Minus zwei Prozent betragen, in Österreich wird 2016 die Nulllinie erreicht. Laut den Kreditversicherungen Prisma und Euler-Hermes sorgen die „besseren konjunkturellen Aussichten und Finanzierungsbedingungen“ in Europa 2016 für diese Trendwende.

Russland im FokusIn Italien und Frankreich sind die Insolvenzen noch immer deutlich höher als vor der Wirtschaftskrise. Frankreich wird mit 60.198 Fällen weiterhin der Spitzenreiter bleiben. Das sind 2,5-mal mehr Pleiten als in Deutschland. Zahlen für Russland gibt es zwar nicht. „Russland war heuer schon durch die Rezession und 30 Prozent mehr Pleiten geprägt“, so die Prisma-Experten. Auch 2016 sollen die Insolvenzen in Russland steigen, aber nur noch um vier Prozent. Auch in Griechenland flacht sich die Insolvenzkurve ab. Gab es 2015 einen Anstieg um 15 Prozent, so wird im nächsten Jahr kein Zuwachs mehr erwartet.

Welches Wirtschaftsthema Österreich 2016 am meisten beschäftigen wird, ist leider einfach zu prognostizieren: die Arbeitslosigkeit. Früher galt die Regel, dass die Zahl der Arbeitslosen erst ab zwei Prozent BIP-Wachstum sinkt. Das stimmt heute nicht mehr – und es wäre auch unsinnig, einfach auf mehr Wachstum zu hoffen. So einfach ist es nicht. Die besseren Zeiten werden so rasch nicht wiederkehren.

Die Frage sollte lauten: Welches Wachstum streben wir an? Keines, das auf Schulden gebaut ist und direkt in die nächste Finanzkrise mündet. Keines, das die Umwelt verpestet, die Müllberge in den Himmel wachsen lässt oder Ressourcen vernichtet. Und auch kein Wachstum, das sich zwar in Bilanzen und Statistiken gut macht, dafür aber nie in der Geldtasche von Otto Normalverdiener ankommt oder sogar Menschen auf die Straße setzt.

Die Flüchtlingskrise und der Klimawandel stellen unsere reichen Gesellschaften vor gewaltige Herausforderungen. Davor kann man kapitulieren. Oder man kann es als Chance betrachten, einen überfälligen Wandel anzustoßen. Womöglich können wir nicht mehr Vollbeschäftigung garantieren. Müssen Arbeit neu verteilen, damit nicht einige rennen bis zum Umfallen und andere nie einen Job sehen. Müssen schlecht oder gar nicht bezahlten Tätigkeiten wie Pflege und Erziehung den Stellenwert einräumen, den sie verdienen. Müssen akzeptieren, dass Phasen mit Jobs öfter mit solchen ohne wechseln werden. Womöglich sollten wir sogar ein Grundeinkommen für alle andenken. Ja, das hieße, auf materielle Annehmlichkeiten zu verzichten, könnte aber ebenso mehr Lebensqualität bringen. 2016 wäre ein gutes Jahr, um anzufangen. Nicht mehr, sondern besser: das muss doch möglich sein. - Hermann Sileitsch-Parzer