"Grexit auf Zeit ist Mogelpackung"
Von Christine Klafl
KURIER: Wie fühlen Sie sich mit dem Vorwurf etlicher Griechen, Deutschland habe Griechenland erpresst?
Peter Bofinger: Was da in den letzten Monaten passiert ist, ist auf beiden Seiten nicht optimal gelaufen. Das war wie ein chicken game. Da fahren zwei Autofahrer aufeinander zu und wer zuerst ausweicht, hat verloren. Die Regierung Tsipras hat den Kompromiss nicht gesucht. Und auf der Seite der Europäer war wenig Bereitschaft, vom bisherigen Kurs abzuweichen.
Wird das jetzt ausgehandelte Programm Griechenland auf die Beine bringen?
Das Wichtigste ist, dass die Wirtschaft wieder wächst. Dem Programm fehlt ganz klar eine Wachstumskomponente. Bis sich die Reformen auswirken, wird viel Zeit vergehen. Die Mehrwertsteuererhöhung wird kurzfristig sogar bremsen. Wenn man auf der griechischen Seite nicht so aggressiv gewesen wäre, hätte man auf Spanien verweisen können. Die dürfen mit einem Primärdefizit arbeiten.
Was halten Sie von einem Grexit auf Zeit, wie ihn Minister Schäuble vorgeschlagen hat?
Das ist eine Mogelpackung. Wie soll das gehen? Dass man immer wieder ein- und austreten kann? Es gibt nur eines – schwanger oder nicht schwanger.
Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn tritt überhaupt für einen Grexit ein. Würde der Griechenland wirklich zu einem Neustart verhelfen?
Mit einer eigenen Währung soll alles wieder gut werden – das stimmt nicht. Im Gegenteil. Die Währung würde abwerten, die Importe würden sich massiv verteuern. Bei hoher Inflation würden die Löhne und Pensionen massiv an Kaufkraft verlieren. Dann würden die Leute zu Tsipras gehen und Lohnerhöhungen wollen. Wird bei den Löhnen die Inflation nicht ausgeglichen, werden die Griechen deutlich ärmer. Bei Lohnerhöhungen wäre aber der Effekt des Grexit weg, der ja die Wettbewerbsfähigkeit steigern soll. Dann muss erst wieder die Gemeinschaft ran. Es besteht die Chance, dass ein Grexit die teuerste aller Lösungen ist. Dass bei einem Grexit der Tourismus angekurbelt würde, stimmt schon. Aber der läuft ohnehin relativ gut.
Sie sagen, Griechenland braucht Wachstum. Aber wo soll es herkommen?
Der Hauptkritikpunkt an Tsipras und Varoufakis (bis vor Kurzem Finanzminister, Anm.) ist, dass sie viel davon geredet haben, wie man Europa besser machen kann, aber nicht, wie man Griechenland besser machen kann. Die Regierung hat mit viel Energie viel Porzellan zerschlagen. Aber das Land hat ja Potenzial. Es gibt in Europa viel Sparkapital und die Zinsen sind tief. Investitionen in Griechenland könnten rentable Investitionen sein.
Der Schuldenstreit mit Griechenland ist zwar vorläufig vorbei, die europäische Integration sei dabei aber tödlich verwundet worden, wirft Ex-Minister Varoufakis den Gläubigern vor. Stimmen Sie dem zu?
Nein. Griechenland zeigt ja, dass wir mehr Integration und nicht weniger brauchen. Idealerweise sollte es nur einen Finanzminister geben, der vom europäischen Parlament und damit demokratisch gewählt und legitimiert ist. Dann könnte mit einer Stimme verhandelt werden.
Wann werden wir so einen Finanzminister oder so eine Finanzministerin haben?
Ich bin Jahrgang 1954, ich hoffe, ich erlebe es noch. Aber Krisen sind immer auch eine Chance. Die Defizite Europas werden stärker bewusst. Man braucht einfach handlungsfähige Mechanismen.
Das neue Programm läuft drei Jahre. Wo sehen Sie Griechenland dann?
Wenn nicht intensiv an Wachstumsstrategien gearbeitet wird, wird das Land in drei Jahren nicht viel anders dastehen als jetzt.
Wird man dann nicht wieder den reichen Gläubigern die Schuld an der griechischen Misere geben?
Man muss schon sagen: Als das Land 2010 Hilfe brauchte, war Griechenland aufgrund jahrelanger falscher Lebensweise schon ein Patient mit chronischen Problemen. Die Troika hat den Patienten nicht krank gemacht. Die Frage ist aber schon, ob die verordnete Abmagerungskur nicht zu arg war, dass sie zum Kreislaufkollaps führte. Die Einschätzungen der Troika über die Entwicklung des Patienten waren immer falsch, die Prognosen immer zu optimistisch.
In Griechenland gibt es jetzt wieder eine Reihe von Streiks. Stimmt das nicht pessimistisch, was den Reformwillen betrifft?
Mal schauen, was passiert.
Rechnen Sie damit, dass die griechischen Banken nächste Woche wieder aufsperren können?
Wenn das Programm durchs Parlament geht, könnte die Europäische Zentralbank die Notfallkredite (ELA, Anm.) aufstocken. Dann könnten die Banken aufsperren. Kapitalverkehrskontrollen wird es aber noch länger geben müssen, damit nicht viel Kapital außer Landes gebracht wird.
Wie würden Sie Menschen mit winzigen Einkommen in Deutschland oder Österreich erklären, dass sie Griechenland schon wieder retten müssen?
In Deutschland bekommen Arbeitslose ein Jahr lang Arbeitslosenunterstützung und danach Hartz IV. In Österreich wird das vermutlich ähnlich sein. In Griechenland bekommt man nach 360 Tagen Arbeitslosigkeit gar nichts mehr. Und der Strom wird abgestellt.
Wo werden Sie heuer Urlaub machen? Vielleicht in Griechenland?
Ich werde in die Schweiz fahren, trotz des hohen Frankenkurses.
Zur Person: Wirtschaftsweiser Peter Bofinger, 1954 in Pforzheim geboren, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg. Seit März 2004 ist er eines von fünf Mitgliedern des sogenannten Sachverständigenrates. Diese fünf Professoren (vier Männer, eine Frau) werden auch Wirtschaftsweise genannt. Sie erstellen Gutachten und beraten die Politik.