Wirtschaftsspionage: Gefeierter deutscher Anwalt vor Schweizer Gericht
In Deutschland wird der Stuttgarter Anwalt Eckart Seith als Aufklärer in einem der größten Steuerbetrugsskandale mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften gefeiert. In der Schweiz wird er wegen Wirtschaftsspionage verfolgt. Weil sich Seith interne Dokumente der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelten Schweizer Bank J. Safra Sarasin besorgte und an deutsche Ermittler weitergab, wird ihm "wirtschaftlicher Nachrichtendienst" vorgeworfen.
Diese Woche steht Seith in einem Berufungsverfahren vor dem Obergericht in Zürich. Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe. Seith wurde 2019 zwar vom Vorwurf der Wirtschaftsspionage freigesprochen, das Gericht verurteilte ihn aber wegen eines Randaspekts zu einer Geldstrafe auf Bewährung. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Seith gingen in Berufung, sodass das Verfahren jetzt neu aufgerollt wird.
"Wir sind mit einem der größten Wirtschaftsverbrechen der europäischen Nachkriegszeit konfrontiert", sagt Seith der Deutschen Presse-Agentur. "Und die Schweizer Justiz bekämpft die Aufklärung mit der ganzen Härte ihres Strafrechts. Da läuft etwas schief." Die Zürcher Staatsanwaltschaft habe sich "zum Patron der organisierten Kriminalität" gemacht. Seith hatte mit den Sarasin-Dokumenten bei einem Prozess in Ulm für einen Klienten, der mit Cum-Ex-Geschäften viel Geld verlor, erfolgreich Schadenersatz erstritten.
Deutschland und die Schweiz liegen seit langem in der Frage über Kreuz, welche Ermittlungsmethoden zur Aufdeckung von Steuerdelikten erlaubt sind. Vor rund 15 Jahren sorgte der Ankauf von Steuer-CDs mit Kundendaten, die Schwarzgeldkonten von Deutschen in der Schweiz belegten, für schwere diplomatische Verstimmungen. Unter anderem klagte die Schweiz deutsche Steuerfahnder an. In Deutschland wurde später ein Schweizer wegen Spionage bei Steuerbehörden festgenommen.
Für die Bundesrepublik war der Ankauf der CDs ein Beitrag zur Aufklärung von Straftaten, für die Schweiz Wirtschaftsspionage. Bis heute stößt dort ein Ausspruch des damaligen deutschen Finanzministers Peer Steinbrück auf Empörung. Er drohte 2009, "die Kavallerie" ausreiten zu lassen, weil die Schweiz ein gewünschtes Steuerabkommen nicht wollte.
Worum geht es beim Cum-Ex-Skandal? Mehrere Banken prellten die deutschen und andere europäische Steuerbehörden seit Beginn des Jahrtausends mit dubiosen Aktienverschiebungen um Milliardenbeträge. Sie verkauften Finanzprodukte mit dem Versprechen von Traumrenditen. Die Banken schoben rund um den Dividendentag Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Ausschüttungsanspruch hin und her. Am Ende war dem Fiskus nicht klar, wem sie gehörten. Die Folge: Nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuern wurden mehrfach erstattet.
Für Wirtschaftsprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim handelte es sich dabei nicht um ein Steuerschlupfloch. "Das muss jeder gewusst haben, dass das nicht sein kann", sagte er dem Schweizer Sender SRF.
Deutsche Gerichte sind seit Jahren mit den Geschäften beschäftigt. Im Juli stellte der Bundesgerichtshof in einem wegweisenden Urteil fest, dass sie als Steuerhinterziehung zu bewerten und damit strafbar sind. Unter anderem wurden in Bonn schon zwei Ex-Börsenhändler wegen Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Weitere Prozesse laufen.
In der Schweiz wird dagegen weder gegen die Bank Sarasin noch andere Banken ermittelt. In dem Prozess erster Instanz gegen Seith wurde das Institut von der Anklage als Spionageopfer dargestellt. Die Bank äußert sich nicht, ist aber auch nicht an dem Verfahren beteiligt.
"Wenn man ganze Lügengebäude auftischt und den Fiskus dazu bringt, Rückerstattungen zu machen, wenn man gar keinen Anspruch hat, ist das auch aus Schweizer Sicht strafbar", sagte der Anwalt und Experte für Finanzmarktregulierung, Alex Geissbühler, dem SRF.
Ein weiterer Cum-Ex-Fall beschäftigt deutsche und Schweizer Gerichte. Dabei geht es um den deutschen Anwalt Hanno Berger, der vor Jahren in die Schweiz ging und als Schlüsselfigur in dem Skandal gilt. Deutsche Gerichte wollen ihm den Prozess machen. Berger sitzt in Auslieferungshaft, wehrt sich aber gegen die Überstellung nach Deutschland. Sein Argument, die ihm in Deutschland vorgeworfenen Taten seien in der Schweiz nicht strafbar gewesen, hat das Bundesstrafgericht schon verworfen. Das Verfahren läuft aber noch.