Wirtschaft

Warum es an den Börsen zum Winterschlussverkauf kommt

Mit Aktienkursen hat die deutsche Bundeskanzlerin sonst wenig am Hut. Am Dienstag war das doch anders. Die Börsenentwicklung der vergangenen Stunden habe gezeigt, dass "wir in unsicheren Zeiten leben", sagte Angela Merkel am Dienstagvormittag. In der Nacht davor hatte der Dow-Jones-Index der New Yorker Börse zeitweise bis zu 1600 Punkte verloren – so viel wie noch nie. Zum Handelsschluss machte das Minus 4,6 Prozent aus. Tags darauf folgten ihm die Börsen in Asien und Europa nach unten. Auch wenn der Dow Jones am Dienstag nach anfänglichen Verlusten ins Plus drehte – werden weitere düstere Tage folgen?

Was ist der Auslöser für die aktuelle Talfahrt?

In den USA ist es die Angst vor zu rasch und zu stark steigenden Leitzinsen. Der jüngste Arbeitsmarktbericht hat gezeigt, dass die Arbeitslosigkeit nur noch 4,1 Prozent ausmacht und die Löhne stark steigen. Gut für die Wirtschaft und den Konsum, aber schlecht für die Börse. Die Notenbank unter ihrem neuen Chef Jerome Powell wird die Leitzinsen heuer wohl eher vier und nicht drei Mal anheben, um eine zu hohe Inflation zu verhindern. Bei steigenden Zinsen verlieren Aktien an Attraktivität.

Steht auch in Europa eine Zinswende bevor?

Experten gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins erst 2019 antasten wird. Die Begründung: Die Inflation ist noch immer weit vom Zielwert von knapp zwei Prozent entfernt. Das Wirtschaftswachstum ist zwar durchaus kräftig, der Euro im Verhältnis zum Dollar allerdings auch. Mit dem starken Euro werden Importe aus dem Dollar-Raum billiger – was die Inflation dämpft. Erst am Montag bezeichnete EZB-Chef Mario Draghi die Euro-Aufwertung als "neuen Gegenwind".

Warum folgen Europas Börsen der Wall Street nach unten?

Dass Europa die Korrektur mitmache, sei eigentlich paradox, weil es die letzte Aufwärtsentwicklung nicht mitgemacht habe, meint Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International. In den USA sei der Konjunkturzyklus schon viel weiter fortgeschritten als in Europa, auch bei den Unternehmensbewertungen stehe Europa besser da.

Crash oder einfach nur eine Korrektur?

Von Crash zu sprechen halten die Börsenprofis für eindeutig übertrieben. Zur Erinnerung: Am 19. Oktober 1987 büßte der Dow Jones 23 Prozent ein – aus Angst vor Zinserhöhungen. Nach der rasanten Bergfahrt an den Börsen sei eine Kurskorrektur überfällig gewesen. Peter Szopo, Aktienstratege der Ersten Sparinvest, erinnert daran, dass die US-Indizes heuer in den ersten vier Wochen um sieben bis acht Prozent zugelegt haben. "In gewisser Weise kann man sagen, es war schon ein Zuviel des Guten." So viel Plus hätten die Experten eigentlich fürs Gesamtjahr erwartet.

Ist jetzt schon das Kursniveau für Zu- oder Neukäufe erreicht?

In so einer Marktphase könne niemand sagen, wann die Kehrtwende kommt, sagt Sparinvest-Experte Szopo. Er würde niemandem raten, groß auszusteigen, aber auch niemandem, jetzt schon einzusteigen: "Den Mutigen gehört nicht immer die Welt." "Mein Geld bleibt in Aktien", lautet die Devise von James Bateman, Experte des Fondsriesen Fidelity. Er wechsle aber und kaufe bei schwächeren Kursen sogenannte Value-Aktien von Unternehmen mit gesunder Bilanz. In Phasen wie der jetzigen würden jene gewinnen, die kühlen Kopf bewahren, während andere ihren verlieren. Alle Experten schwören die Anleger darauf ein, dass die Schönwetterphase an den Börsen (siehe Grafik unten) zu Ende geht. Sie erwarten zwar insgesamt ein positives Aktienjahr. Zwischendurch könne es aber immer wieder Korrekturen um zehn Prozent und mehr geben – was als Kaufgelegenheit genutzt werden könnte.

Waren die Verluste der vergangenen Börsentage übertrieben?

Die Aktienprofis gehen davon aus, dass die panischen Reaktionen der Anleger auf die voraussichtliche Zinsstrategie in den USA sehr wohl übertrieben war. Nur schockartige Zinserhöhungen wären Grund für eine derartige Panik. Dass es mit dem Dow Jones am Montag derart rasch nach unten gegangen ist, hat auch mit der "Technik" zu tun. Werden Kursmarken nach unten durchbrochen, werden mittels Computerprogrammen automatisch weitere Aktien verkauft. Das verstärkt die Talfahrt. Experten bezeichnen dieses Phänomen als "Flash Crash".

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