Wirtschaft

Visionen vom Jules Verne der Börse

KURIER: Sie haben vor Kurzem am New-York-Marathon teilgenommen. Wie ist es gelaufen?

Heiko Thieme: Ich war einer von 247 Teilnehmern der Altersklasse 70 plus und bin durchgekommen. Das war heuer meine großartigste Leistung – fast so schön wie die Geburt meines fünften Enkels.

Apropos durchhalten: Viele Börsen-Indizes haben sich heuer super entwickelt. Rechnen Sie mit einem Zusammenbruch?

Ich bin rationaler Optimist, also ich kann meinen Optimismus auch begründen. Nach Nikolo rechne ich mit einer Weihnachtsrallye. Im Jänner wird der Frankfurter DAX bei 10.000 stehen (jetzt 9300). Viele Aktien sind vergleichsweise nicht mehr billig, aber es gibt keine Alternative dazu.

Bläst sich durch die Alternativlosigkeit nicht gerade eine Kursblase auf?

Die Unternehmensgewinne verbessern sich um fünf bis neun Prozent. Das rechtfertigt 2014 Kursgewinne von 7,5 bis 12,5 Prozent. Ob der Dow Jones nächstes Jahr die 18.000 Punkte schafft – das ist sicher eine gewisse Herausforderung.

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Werden Aktienanleger panisch reagieren, wenn die US-Notenbank weniger Milliarden in die Märkte pumpt?

Ich rechne damit, dass die Notenbank das monatliche Volumen an Wertpapierkäufen im März von 85 auf 75 Milliarden Dollar zurücknimmt. Das wird Kursverluste von zehn Prozent auslösen. Insgesamt wird 2014 aber ein ganz gutes Aktienjahr.

Die Wiener Börse ist heuer im Rennen zurückgeblieben. Wann sehen Sie als Optimist den ATX wieder bei 5000 Punkten?

Als der ATX vor sechs Jahren bei 5000 war, war er viel zu hoch. Da sieht man, was an kleinen Märkten passieren kann. Bis der ATX wieder dort ist, wird es Ende des Jahrzehnts werden, eher erst danach. Nächstes Jahr wird er mehr als 3000, aber maximal 3500 erreichen.

Haben Sie jemals in Wiener Aktien investiert?

Naja, ich habe mich eher auf Wachstumsmärkte wie Brasilien konzentriert. Aber stimmt, ich habe einmal Wienerberger-Aktien besessen.

Welcher Kauftipp fällt Ihnen spontan ein?

Apple, das sollte ein Weihnachtsgeschenk sein. Der Kurs wird spätestens im Jänner bei 600 bis 650 Dollar sein. Neue Höchststände sind nicht auszuschließen.

Sie werden nach dem bekannten Autor auch Jules Verne der Börse genannt. Welche Trends sehen Sie voraus?

Im technischen Bereich wird die Sprachsteuerung die nächsten zwanzig Jahre dominieren. Das Smartphone wird zur Armbanduhr, die mit allem vernetzt ist. Da sage ich dann auf der Heimfahrt einfach hinein: Backrohr auf 200 Grad aufheizen. Auf dem Handgelenk kann man die Dinger auch nicht so leicht verlieren wie jetzt. Und natürlich kommt 3D-Druck als großer Trend dazu.

Klingt visionär. Sehen Sie auch in anderen Bereichen tief greifende Entwicklungen?

Die Welt wird durch Visionäre geprägt (lacht). Ich bin überzeugt, dass man bei den drei Blöcken Erziehung, Krankenversorgung und Energie die Kosten um 80 Prozent senken könnte.

Wo zum Beispiel?

Warum soll ich 25.000 Dollar im Jahr zahlen, dass mein Enkerl in Harvard studieren kann? Die Harvard-Vorlesung kann ja weltweit übertragen werden; samt Kontrollen, dass der, der via Bildschirm teilnimmt, auch aufmerksam ist.

Und im Gesundheitsbereich?

Viel mehr vorsorgen und aufklären. Da wird es diskrete Systeme geben, vielleicht auch über die Armbanduhr, die uns zeigt, wie viele Kalorien ich mit dieser Tasse Kaffee zu mir nehme.

Staaten, die dadurch sparen können, werden wahrscheinlich jubeln ...

Staaten könnten auch ganz andere Einnahmequellen erschließen. Ich bin dafür, dass Marihuana legalisiert wird. Warum sollen die Billionen nur schwarz verdient werden? Der Staat soll auch daran verdienen.

Dann könnten sich Staaten ja Steuerentlastungen leisten.

Ich bin für die Thiemesche Steuerquote, also 20 Prozent Spitzensteuersatz. Bis 20.000 Euro Jahreseinkommen keine Steuer, über 40.000 Euro 20 Prozent, dazwischen Stufen. Unternehmenssteuer: 20 Prozent, Mehrwertsteuer: 20 Prozent. Basisprodukte wie Nahrungsmittel oder der Fernseher mit nur drei Programmen sollten steuerfrei sein.

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Zur Person: Heiko Thieme
Heiko H. Thieme wurde 1943 in Leipzig geboren, durchlief Ausbildungen in Deutschland, Schottland und den USA. Er startete als Analyst in Edinburgh und London. 1979 wechselte er nach New York, wo er anfangs für eine Tochter der Deutschen Bank tätig war und sich später selbstständig machte. Dem deutschsprachigen Publikum ist er durch TV-Auftritte, Kolumnen und Blogs bekannt. Das Interview fand am Rande des Business Circle Wertpapierforums statt.