Unfall-Kasko: Autobesitzer zahlen drauf
Montagmorgen in Wien. Doris E. ist mit ihrem Auto unterwegs zu einem Termin. Kurz vor dem Ziel übersieht sie eine Stopp-Tafel und knallt in einen anderen Pkw. Außer einem Schock ist ihr nichts passiert, ihrem Auto geht es da schon wesentlich schlechter. Zum Glück, denkt Frau E., hat sie eine Kaskoversicherung. „Die wird den eigenen Schaden schon ersetzen.“ Doch es kommt anders. Die Reparatur würde mit 2644 Euro bei einem aktuellen Zeitwert des Autos von 4140 Euro zu teuer kommen. Die Folge: Das vermeintliche Schrottauto wird über eine Internet-Börse um 2691 Euro an den Meistbieter verkauft. Gewinner ist zum einen die Versicherung. Sie zahlt nur 1449 Euro – den Restbetrag auf den Zeitwert. Zum anderen ist es ein gutes Geschäft für den Händler, der das Auto nach Reparatur mit Gewinn weiter verkauft.
Der Kunde scheint hingegen in jedem Fall Verlierer zu sein. Muss er bei einer noch wirtschaftlich sinnvollen Reparatur das Fahrzeug verkaufen, erhält er zwar von der Versicherung und dem Meistbieter den vollen Zeitwert ersetzt. Allerdings kostet eine Neuanschaffung meist mehr. Wer hingegen auf eine Reparatur besteht, erhält nur die Differenz aus Zeit- und Börsenwert, im Fall von Frau E. also 1449 Euro. Die restlichen Kosten für die Reparatur müsste sie aus eigener Tasche zahlen. Laut Thomas Hirmke, Jurist beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), ist die Vorgangsweise der Versicherungen „gängige Praxis“. Während bei der Haftpflicht im Schadensfall 110 Prozent des Zeitwertes für Reparaturen zugestanden werden, ist in der Kasko ein Totalschaden schon bei 65 Prozent des Zeitwertes. Hirmke: „Das ist unlogisch.“
Kundenrisiko
Der VKI strengte eine Musterklage gegen die VAV Versicherung an. Der Prozess zog sich durch alle Instanzen. Das Erstgericht gab dem VKI recht: „Der Kunde trägt bei dieser Vorgehensweise das Risiko, kein adäquates Fahrzeug zu finden und eine Aufzahlung leisten zu müssen.“ Doch sowohl das Berufungsgericht als auch vor Kurzem der Oberste Gerichtshof teilten die Sicht der Versicherung. Die Begründung: Der Kunde erleidet keine unmittelbare Vermögenseinbuße. Auch unter Einbeziehung der Problematik, bei älteren Fahrzeugen ein gleichwertiges Auto zu finden, ermögliche diese Regelung eine günstigere Prämienkalkulation.
VAV-Chef Norbert Griesmayr ist mit dem Urteil zufrieden: „Aufgrund des Erkenntnisses können Kaskoversicherungen weiterhin günstig bleiben.“ Burkhard Ernst, Obmann des Fahrzeughandels, glaubt nicht an günstigere Prämien. „Das Urteil ist realitätsfremd.“ Er und der VKI bekritteln, dass die Prämien immer anhand des Neuwagenpreises und nicht des Zeitwertes berechnet werden. Ernst rät, die Klauseln der einzelnen Versicherer genau anzusehen. Als Beispiel nennt er die Garanta Versicherung, die mit keiner Internetbörse zusammenarbeite und auch bei Kasko 100 Prozent des Zeitwerts bei Reparaturen ermögliche.