Wirtschaft

"Um Entschädigungen wird die deutsche Autoindustrie nicht herumkommen"

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Mit Software-Updates oder Kaufanreizen für neuere Modelle wird sich die deutsche Autoindustrie im Dieselskandal nicht aus der Affäre ziehen können, moniert der Dachverband der Europäischen Verbraucherschützer (BEUC). Ursula Pachl, BEUC-Vize-Generaldirektorin, im KURIER-Interview über den zähen Kampf um Entschädigungen für die Konsumenten.

KURIER: Wie kommt aus der Sicht der europäischen Konsumentenschützer in Brüssel die Aufarbeitung des Dieselskandals voran?

Ursula Pachl: Wir haben, seit der Skandal publik wurde, versucht, mit VW eine Lösung zu finden, damit die Verbraucher entschädigt werden; damit der Rückruf schnell und im Sinn der Verbraucher gemacht wird. Diese Gespräche waren nicht sehr fruchtbar. VW hat von Anfang an Entschädigungszahlungen abgelehnt, sondern sich darauf fixiert, dass Reparaturen genügen. Das ist natürlich sehr unbefriedigend. Wir haben auch die EU-Kommission gebeten sich einzuschalten. Auch das hat nicht dazu geführt, dass VW auf den Verbraucher zugegangen wäre. Falls sich nun auch die Vermutung bestätigt, dass es in der Autoindustrie zu einer Kartellbildung gekommen ist, gibt es einen weiteren Grund für Entschädigungen.

Wieso sind Entschädigungen so schwer durchzusetzen?

Was für die Verbraucher im Vordergrund steht, ist die Tatsache, dass die geeigneten Rechtsinstrumente fehlen: In fast keinem EU-Land kann man kollektiv mit einer Gruppenklage vorgehen. Nur in vier EU-Staaten, in Belgien, Spanien, Italien und Portugal werden durch unsere Mitgliedsverbände Gruppenklagen gegen VW betrieben. In allen anderen Ländern ist es entweder zu kostspielig, verfahrenstechnisch zu kompliziert oder überhaupt unmöglich. Hier versuchen wir in Zusammenarbeit mit anderen Partnern Lösungen zu finden, aber das ist momentan extrem schwierig.

Könnte BEUC eine Gruppenklage einreichen?

Wir als Organisation können nicht klagen, sondern nur beraten und Plattformen der Zusammenarbeit bieten. Forderungen nach Gruppenklagen – dieses Thema haben wir schon seit 20 Jahren auf dem Tisch, seit den Anfängen der Verbraucherschutzpolitik. Auch auf europäischer Ebene ist vielen klar, dass Gruppenklagen nötig wären, und die Kommission hat schon viele Male öffentliche Konsultationen dazu abgehalten. Aber aufgrund der politischen Situation, gegenüber einer Wirtschaftslobby, die natürlich ganz massiv dagegen ist, hat man sich nie durchgerungen. Der Dieselskandal macht nun umso klarer, dass man so ein Instrument braucht. Übrigens gibt es auch in Österreich keine geeignete, effektive Gruppenklage, und das wäre dringend notwendig.

Wird der Dieselskandal das beherrschende Thema der nächsten Monate bleiben?

Was die Kartellabsprachen und die Manipulation von Abgaswerten betrifft, wird noch einiges ans Licht kommen. Die ganze Tragweite wurde sicher noch nicht durchleuchtet. Die Autoindustrie versucht nun für die deutschen Verbraucher Lösungen zu finden. Millionen Autos werden nachgerüstet und ein Umsteigen auf andere Modelle wird erleichtert. Aber ich habe noch nichts gesehen, was den europäischen Verbrauchern angeboten wird. Die Enttäuschung nach dem deutschen Autogipfel ist groß. Aber wir werden massiv in die Diskussion einsteigen und versuchen, eine europäische Lösung zu finden. Darum wird die deutsche Autoindustrie nicht herumkommen.

Welche anderen Themen stehen für die Verbraucherschützer jetzt auf dem Programm?

Vor allem die digitalen Themen und die Energiepolitik. Und auch die Diskussion ums Roaming liegt noch nicht ganz hinter uns. Nach dem Sommer werden wir sehen, ob das Ende der Roaminggebühren tatsächlich eingetreten ist und ob sich die Telekommunikationsunternehmen daran gehalten haben, was vorgeschrieben ist. Wir werden im Herbst eine Evaluierung vornehmen.

Im Bereich digitales Verbraucherrecht steht das Thema Geoblocking ganz oben auf der Tagesordnung. Kurzgefasst geht es darum, Verbrauchern den Einkauf im Internet in einem anderen EU-Land zu ermöglichen. Es gibt da noch sehr viele Hindernisse, aber die Entwicklungen deuten auf ein Ende des Geoblocking hin. Erstmals nach 40 Jahren Binnenmarktöffnung blickt man nicht nur auf die Unternehmen, sondern auch Richtung Verbraucher. Die Verordnung wird noch heuer abgeschlossen. Die Umsetzung hängt von den Mitgliedsstaaten ab. Ich vermute, dass sie rund um 2020 umgesetzt wird.

Gibt es manchmal Kollisionen zwischen den einzelnen Wünschen der nationalen Konsumentenverbände?
Als Dachverband europäischer Konsumentenschutzvereine aus 31 Ländern versuchen wir mit einer Stimme zu sprechen. Meistens schaffen wir das. Es gibt nur ganz wenige Themen, etwa beim Atomstrom, wo essenzielle Auffassungsunterschiede vorherrschen. An diesem Thema arbeiten wir nicht. Auch nicht zur Beschwerde osteuropäischer Länder, dass bestimmte Lebensmittel in ihren Staaten schlechtere Qualität haben als anderswo in Europa. Hier verlassen wir uns auf die Arbeit unserer nationalen Mitgliedsverbände. Aber wir unterstützen die Mitglieder, die daran arbeiten.

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Sind Sie eine Art Lobbyorganisation für Konsumenten?

Ja, das kann man so sagen, obwohl gerade in Österreich der Begriff Lobbyismus so negativ gesehen wird. Zu Unrecht, weil Lobbyorganisation heißt nur, dass wir Interessen vertreten. In unserem Fall eben keine privaten oder Wirtschaftsinteressen, sondern Interessen unserer Mitgliedsorganisationen. Und die wiederum vertreten die Interessen ihrer Verbraucher. Wir sehen uns schon als Kontrastprogramm zu den Wirtschaftsinteressen, die hier in Brüssel sehr massiv vertreten sind. Aber unser Ziel ist das selbe, nämlich die Entscheidungsfindungen und die Gesetzgebung zu beeinflussen.

Wie kann man sich gegenüber den 20.000 Lobbyisten in Brüssel durchsetzen?

Die Wirtschaft hat natürlich mehr Ressourcen und ist zahlenmäßig viel stärker vertreten. Wir sind der einzige europäische Verbraucherverband, aber wir sind eine sehr renommierte Organisation und sehr erfahren. Beim Lobbying muss man sehr genau wissen, wann, wie und wem man seine Botschaften kommuniziert. Das ist hier ein komplizierter Apparat. Man muss die Maschinerie gut kennen, die immer komplizierter wird. Und mit der Juncker-Kommission hat sie sich nicht vereinfacht.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die großen Erfolge der Verbraucherschützer?

Es gibt viele Erfolgsgeschichten, wo BEUC ganz maßgeblich beigetragen hat. Etwa bei der Abschaffung des Roamings. Unser französischer Verband hat vor etwa 10 Jahren in einer Studie gemacht und und auf die Preise hingewiesen, die Konsumenten fürs Telefonieren im Ausland zahlen mussten. Daraufhin hat damalige EU-Kommissarin Reding eingegriffen. So kam alles ins Rollen. Grundsätzlich sehe ich alle Verbraucherrechte, die ja in vielen Mitgliedsstaaten auf EU-Gesetzen beruhen oder durch die EU weiter entwickelt wurden, als großen Erfolg. Aber die Frage nach dem Zugang zum Recht bleibt: Wie kann ich als Verbraucher meine Rechte durchsetzen? Das ist immer noch die Achillesferse des EU-Verbraucherschutzes. Wir haben viele Rechte für die Verbraucher, aber in der Praxis hapert es oft an der Umsetzung.

In welchem Bereich müsste der Verbraucherschutz aus Ihrer Sicht besonders dringend verbessert werden?

Das auf Kinder abzielende Marketing sollte beschränkt werden. Also vor allem Marketing für ungesunde Lebensmittel mit hohem Zucker-, Salz- und Fettgehalt. Hier ist bisher nicht viel gelungen, der Druck der Lebensmittelindustrie ist enorm. Derzeit wird eine EU-Richtlinie bezüglich TV- und Online-Werbung verhandelt, welche die Chance bietet, das Marketing während der Haupteinschaltzeiten einzugrenzen. Auch wollen wir dabei ein Verbot von Werbungen mit Markenmaskottchen, die Kinder dazu verführen sollen, diese ganzen süßen Limonaden und Cerealien zu konsumieren. Aber da sieht es schlecht aus. Hier wird am Ende immer nur verlangt, dass sich die Industrie selbst reguliert und sich selbst Verhaltenskodizes gibt. Aber wir wissen genau, dass das nicht funktioniert.

Ändern muss sich auch etwas bei der Regelung von gefährlichen Chemikalien, beispielsweise bei den endokrinen Disruptoren (Stoffe, die durch Änderung des Hormonsystems die Gesundheit schädigen können, Anm.) Da gab es zunächst erst einmal jahrelange Diskussionen über Kriterien, wie diese Chemikalien definiert werden sollen, damit man sie konkret einschränken kann. Das alles läuft sehr langsam und unbefriedigend.

Wir sind auch unzufrieden mit der politischen Grundausrichtung der Kommission, die derzeit im Gesundheits- und Lebensmittelbereich offenbar vor allem darauf ausgerichtet ist, die Industrie vor neuen Gesetzen zu bewahren.

Zur Person: Ursula Pachl

Die Vize-Generaldirektorin des Dachverbandes Europäischer Verbraucherschutzorganisationen BEUC (Bureau Europeen des Unions des Consommateurs) hat sich seit mehr als zwei Jahrzehnten dem Konsumentenschutz verschrieben. Pachl sieht sich selbst durchaus als Lobbyistin für die Bürger. Die gebürtige Dornbirnerin und studierte Juristin lebt mit ihrem Mann und den drei Söhnen im Alter von elf bis 16 Jahren in Brüssel.

BEUC (Bureau Europeen des Unions des Consommateurs) hat 43 Mitglieder aus 31 europäischen Staaten. Österreichische Mitglieder im BEUC sind der Verein für Konsumenteninformation (VKI) und die Arbeiterkammer (AK).