Turbo-Börsen: Milliardendeals in Millisekunden
Von Anita Staudacher
Aufgeregt fuchtelnde Menschen auf knarrenden Parkettböden - das war einmal. Heute handeln an der Börse Highspeed-Computersysteme mit ausgeklügelten mathematischen Programmen, die binnen Millisekunden eine Flut von Aktien kaufen und verkaufen können. Der automatisierte Hochgeschwindigkeitshandel (High Frequency Trading, HFT) generiert mittlerweile ein Drittel der weltweiten Börseumsätze, in den USA sind es bereits 70 Prozent. Vor allem große Investmentbanken und Hegdefonds bewegen mit solchem Blitzhandel Milliarden. Während die Haltedauer von Aktien etwa in Fonds oft Jahre beträgt, schlagen HFT-Algorithmen kurzfristig zu. Dadurch ist es möglich, binnen Sekunden bei der gleichen Aktie vom Verkäufer zum Käufer zu werden. Kleinste Kursbewegungen werden ausgenutzt, um Profite zu generieren.
"Zuerst wird der Kurs nach unten getrieben und dann billig nachgekauft", erläutert Behrad Mahmoodi, Senior Trader bei der Erste Sparinvest. Vor allem Leerverkäufe würden oft riesige Marktbewegungen ausgelöst, die vorher programmiert wurden: Bloße technische Vorgänge, die sich nicht an reale Vorkommnisse halten.
Manipulation
Weil viele Systeme auf sehr ähnliche Zielmarken gleichzeitig reagieren, manipulieren sie die Märkte, warnen Kritiker. "Wenn eine Kettenreaktion ausgelöst wird, ist sie unaufhaltbar", weiß Mahmoodi. Was dies bedeutet, zeigte der als "Flash-Crash" in die Geschichte eingegangene Kurssturz der US-Börse am 6. Mai 2010. Innerhalb weniger Minuten sackte der Dow Jones um fast zehn Prozent ab, erholte sich aber ebenso blitzartig vom Absturz. Einige Aktien verloren für kurze Zeit bis zu 99 Prozent (!) ihres Wertes. Auslöser dafür war ein Computerprogramm, das eine Reihe von Termingeschäften in Rekordgeschwindigkeit abwickelte. Dadurch wurde eine Kettenreaktion bei Hochfrequenzhändlern ausgelöst, die nur durch ein Aussetzen des Handels gestoppt werden konnte. Es wurde quasi der Stecker gezogen. "Ein solcher Systemcrash kann jederzeit wieder passieren", glaubt Mahmoodi.
Der Ruf nach einer Regulierung von HFT ist groß, zumal traditionelle Fondsmanager dabei ausgebootet werden. Zum einen haben sie rechtliche Schranken (Leerverkauf-Verbot), zum anderen Geschwindigkeitsnachteile. Weil Turbohändler oft im Hintergrund agieren, überlegen Aufsichtsbehörden eine Registrierungspflicht von Brokern oder eine Mindestbearbeitungszeit für Orders. Die Debatte darüber dauert bereits Monate.
Der Finanzmathematiker Gunther Leobacher von der Uni Linz beschäftigt sich gerade in einem Projekt mit der Frage, ob HFT profitabler ist als täglicher oder wöchentlicher Aktienhandel. "Ich untersuche Programme, die mithilfe von künstlicher Intelligenz Aktien bewerten, auf die Zuverlässigkeit ihrer Aussagen", erklärt Leobacher. Von den Auswüchsen des Turbohandels distanziert sich der Wissenschafter: "Finanzmathematiker wollen vor allem Zusammenhänge verstehen und beschreiben. Was Praktiker dann daraus machen, darauf haben wir keinen Einfluss."
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