Wirtschaft

Toronto: Mehr Zuwanderung als Wien - aber gesteuert

Jährlich wächst Wien um fast 40.000 Menschen. Doch das ist eine geringe Zahl im Vergleich zur kanadischen Metropole Toronto. Hier beträgt der Zuwachs 100.000 im Jahr. Geht es so weiter, werden in 20 Jahren neun statt derzeit sechs Millionen Menschen in der Region leben. "Wir sind über das Wachstum sehr glücklich und wir haben dafür auch Platz", sagt Marc Switzer von der Vereinigung Invest Toronto.

Eine Vielzahl großer Konzerne hat sich hier neu niedergelassen, etwa aus dem Softwarebereich (Cisco oder Ubisoft), der Auto- und Luftfahrtindustrie sowie Dienstleister, zum Beispiel aus der Finanzbranche. "Torontos Börse ist die neuntgrößte der Welt", sagt Switzer. Die Banken haben die Finanzkrise übrigens gut überstanden, keine einzige ging Pleite. Und all diese Konzerne würden qualifizierte Arbeitskräfte suchen.

Auch Start-ups stünden in Toronto alle Türen offen. "Es dauert 24 bis 48 Stunden, um ein Business zu gründen", sagt Switzer. Angelockt werden die Unternehmer durch niedrige Steuern. Diese betragen für Betriebe im Bundesstaat Ontario 26,5 Prozent (für kleine Betriebe sogar nur 15,5 Prozent) und liegen damit deutlich unter dem US-Durchschnitt. Zudem wird von politischer Seite die Zweisprachigkeit der großen Industrieregionen im Osten des Landes betont. Diese sei vor allem für französische Betriebe ein Anreiz. Unabhängigkeitsbestrebungen der französischsprachigen Teile Kanadas seien seit der letzten Volksabstimmung Mitte der 90er-Jahre kein Thema mehr, wird versichert.

Handelsabkommen

Nicht zuletzt ist der Absturz des kanadischen Dollar zum US-Dollar und Euro um ein knappes Drittel seit Mitte 2012 (wegen sinkender Zinsen und Verfall der Rohstoffpreise) eine zusätzliche Verlockung für exportorientierte Unternehmen. Damit würden sie überproportional vom Handelsraum NAFTA (mit USA und Mexiko) profitieren, sagt Switzer.

Mit dem CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU hofft die Wirtschaft auf einen weiteren Schub. Mehr als die Hälfte der Importe kommt schon jetzt aus Europa. Auch Österreich sollte von diesem Abkommen profitieren, meint der Wirtschaftsdelegierte in Toronto, Christian Lassnig. Vor allem die Milchwirtschaft und die Lebensmittelindustrie sollten davon profitieren. Als Beispiel nennt er Alkohol. Derzeit muss dieser – ähnlich wie in Schweden – über die staatliche bzw. regionale Monopolverwaltung importiert werden. Hier werden nur wenige ausgewählte Sorten berücksichtigt. "Mit CETA sollte es keine Benachteiligung mehr geben", hofft Lassnig.

Probleme

Toronto zählt wie Wien zu den lebenswertesten Städten der Welt. Aber natürlich ist auch in Toronto nicht alles eitel Wonne. Der starke Zuzug verursacht wie in vielen Städten Kanadas auch Probleme. So sind im Vorjahr die Hauspreise um 15 Prozent auf durchschnittlich 800.000 Euro angezogen. Die Interessenten kommen nicht nur aus Kanada. Maklerin Caroline Baile muss für Verkäufer mittlerweile in chinesischen Zeitungen inserieren. "Chinesen sehen Kanada als sicheren Markt für ihr Geld an", sagt Baile der Zeitung Globe & Mail.

Weiteres Problem des Zuzugs ist der ungenügende öffentliche Verkehr. Die vier U-Bahn-Linien reichen nicht mehr (Ausbau ist im Gange), daher wird die Stadt vom Autoverkehr dominiert.

Höchste Einwanderung seit 1913

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Der Wohnraum in den Städten Kanadas wird trotz der Weite des Landes knapp. Die neue liberale Regierung erhöht dennoch die Zahl an zugelassenen Einwanderern. Waren es im Vorjahr noch knapp 280.000, so sollen es heuer bis zu 305.000 sein. Davon sollen 55.800 Flüchtlinge sein, 80.000 Personen kommen im Zuge der Familienzusammenführung und der Rest als Immigranten, die einer Beurteilung nach Ausbildung oder ihren geplanten Investitionen in Kanada unterliegen. Das ergibt unterm Strich die höchste Zuwanderung seit mehr als 100 Jahren.

Aber auch bei den Flüchtlingen greift Kanada nicht wahllos zu, sondern sucht sich nach genauem Sicherheitscheck, Prüfung und Befragung in den Flüchtlingslagern jene aus, die das Land braucht. Aber auch umgekehrt habe so mancher Syrer nach den Checks abgelehnt, nach Kanada zu gehen, berichtet Österreichs Wirtschaftsdelegierter Lassnig.

Staatsbürgerschaft

Ist man einmal in Kanada aufgenommen, darf man relativ rasch arbeiten und erhält auch bald eine Staatsbürgerschaft. „Die Sozialsysteme sind nicht so ausgeprägt, dass es heißen kann, sie leben alle sorgenfrei auf unsere Kosten“, berichtet Lassnig. Dies gelte im übrigen auch für Einheimische. Zwar sei das Sozialsystem generell engmaschiger als in den USA, aber bei Weitem nicht so dicht wie in Österreich. Eine syrische Familie erhält nur im ersten Jahr umgerechnet rund 17.000 Euro Unterstützung.

Die Kanadier hätten keine Probleme mit den Zuwanderern, schließlich ist mehr als die Hälfte der Bewohner nicht in Kanada geboren. „Immigration gehört dazu; anderen zu helfen zur Kultur“, sagt Lassnig. Daher könne die Situation in Europa von den Kanadiern nicht nachvollzogen werden – mit einer Ausnahme: Der unkontrollierte und unregistrierte Zuzug wäre so nicht möglich, sagt Lassnig. „Wir sind kein Melting Pot (Schmelztiegel) wie die USA“, sagt Greg Dandewich, Vizepräsident der Wirtschaftsagentur Winnipeg. „Jeder kann hier seine Kultur leben, aber jeder fühlt sich als Kanadier.“

Lebenswert

Laut Magazin Economist ist Toronto nach Melbourne, Wien und Vancouver an vierter Stelle der lebenswertesten Städte.

Wirtschaft

Das Bruttoinlandsprodukt beträgt rund 200 Mrd. Euro im Jahr. (Wien 84 Mrd. Euro)

Schulden

Die Verschuldung liegt bei umgerechnet 2,4 Mrd. Euro (Wien 5,5).

Arbeitslose

119.000 Menschen waren 2015 auf Jobsuche (7,7 Prozent der Erwerbsfähigen; Wien 14,0 Prozent).