Technologie-Boom in Nigeria: "Politiker denken nur ans Erdöl"
Von Irmgard Kischko
Die Nigerianerin Nkemdilim Begho hat eine erstklassige Ausbildung genossen: Deutsche Schule in Lagos, Studium der Bioinformatik in München, Programmiererin am Max-Planck-Institut und Software-Unternehmerin in Lagos. Eine Ausnahmeerscheinung? „Nein“, antwortet sie energisch, „es gibt in Afrika viele wie mich.“ Begho sprach anlässlich der Konferenz „Wachstum im Wandel“, die kürzlich in Wien stattfand, mit dem KURIER über:
Wenn es ums Bezahlen und Überweisen geht, sind wir in Afrika digital ganz vorne mit dabei. Ich habe auch ein Bankkonto in Deutschland und verstehe nicht, warum es dort so kompliziert ist, Geld zu überweisen. In Nigeria brauche ich nicht einmal Internet dafür, sondern nur mein Handy: „Stern, Code, Kontonummer, Überweisungsbetrag, Empfänger“ und das Geld wird geschickt. Ich muss nicht einloggen oder so etwas. Auch die Marktfrauen wissen, wie das geht. Bargeld wollen viele gar nicht. Im Hotel sagt man: „Oh, gib mir kein Cash. Mache es mit dem Handy.“
- Ihre eigene Firma
Vor etwa zehn Jahren ging ich von Deutschland nach Nigeria zurück. Da habe ich gemerkt, dass viele Firmen noch keine Website haben und nicht online sind. Also habe ich meine Firma, Future Software Resources, gegründet. Heute machen wir nicht nur Websites, sondern auch digitales Marketing für große Unternehmen.
- Start-up-Szene
Die hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Nigeria enorm entwickelt. Wir haben inzwischen viele interessante Technologie-Firmen, viele im Bereich Handy-Bezahlsysteme. Aber auch Blockchain-Unternehmen und Kryptowährungs-Experten – alles, was es in Europa oder in den USA gibt, gibt es auch bei uns.
- Investoren
Die fehlen in der Start-up-Szene häufig. Und die Banken geben auch keine Kredite. Die Finanzierung ist also ein großes Problem. Das meiste Geld kommt aus dem Ausland. Nigerianer, die Geld haben, investieren nicht in Tech-Firmen, sondern ins Ölgeschäft oder in die Landwirtschaft. Diese Bereiche kennen sie eben, das Neue ist ihnen fern und oft glauben sie, es sei zu riskant. Das muss sich ändern.
- Abwanderung
Das ist wirklich ein Problem, denn viele der ausländischen Investoren raten den Tech-Firmen, weg von Nigeria zu ziehen. Zum Beispiel: Eine Payment-Plattform in Lagos hat kürzlich acht Millionen Dollar bekommen und ist dann ins Silicon Valley gezogen. Die Jobs sind weg. Das heißt: Wir lösen unser Problem der Arbeitslosigkeit überhaupt nicht. Und auch das Know-how ist weg.
- Was notwendig wäre
Das Wichtigste wäre, dass die Regierung Tech-Firmen besser versteht. Jetzt gibt es kein politisches Umfeld, das Tech-Firmen groß werden lässt. Die Investoren sagen daher: Verlagert die Firma nach Europa oder in die USA. In Nigeria gibt es für die Investoren keine Rechtssicherheit. Daher gehen sie weg.
- Staatliche Anreize
Die Regierung spricht davon, einen 100-Millionen-Dollar-Fonds für Technologie-Investments zu errichten. Ich glaube, das ist viel zu wenig. Im zweiten Quartal 2018 allein gab es 73 Millionen Dollar Tech-Investments. 100 Millionen Dollar sind ein Witz.
- Die Politiker
Der Fonds ist so klein, weil die Politiker keine Ahnung haben. Für sie ist Tech ein Fremdwort. Sie denken immer nur ans Erdöl.
- Ausbildung
Wir brauchen natürlich auch eine Reform des Bildungssystems. Der Lehrplan im technischen Bereich ist 40 Jahre alt, er ist vollkommen überholt. Viele Universitäten, die IT unterrichten, haben nicht einmal Computer. Die Start-up-Szene ist voll von Leuten, die sich das Wissen selbst aneignen.