Wirtschaft

Tatendrang und Reformen gefragt

Von „abgesandelt“ spricht Christoph Leitl nach der öffentlichen Aufregung lieber nicht mehr. Aber „wenigstens wurde dann über den Standort diskutiert. Meine Kritik war ein Weckruf zum Besseren.“ Am Tag nach der Wahl formuliert der Wirtschaftskammer-Chef seine Einschätzung des Wirtschaftsstandortes Österreich zwar etwas weniger dramatisch – „wir verlierend schleichend an Boden“ –, kritisiert aber nach wie vor massiv, dass Österreich in etlichen internationalen Vergleichen laufend zurückgefallen sei oder stagniere.

Wie oft hätten namhafteste Experten und die Interessenvertreter der Wirtschaft Erneuerung im Staat, weniger Bürokratie und mehr Effizienz gefordert und den Reformstau kritisiert: „Reaktion null. Alle Warnungen sind ungehört geblieben.“ In einigen Bereichen, etwa bei der Beschäftigung, sei Österreich noch gut, das sei aber den Betrieben und deren Mitarbeitern zu verdanken.

Wo muss sich Österreich dringend verbessern?

Leitl nennt an erster Stelle die Bildung, „es geht nicht an, dass von den Schulabsolventen an die 20 Prozent nicht ausreichend lesen und schreiben können. Das sind die Arbeitslosen der Zukunft.“ Der Schuldenstand der öffentlichen Haushalte müsse abgebaut werden, aber nicht über neue Steuerbelastungen, sondern über Einsparungen – Stichwort Verwaltungsreform, „wozu der Rechnungshof allein 599 Vorschläge geliefert hat“.

Weitere Punkte auf der Forderungsliste des Wirtschaftskammer-Chefs an die neue Regierung sind Systemreformen bei der Gesundheit, die Finanzierung der Pensionen, Förderungen, Arbeitsmarkt-Flexibilität sowie intensivere Forschung und Entwicklung. Und natürlich die Entlastung der Betriebe bei Abgaben und Lohnnebenkosten, „die rekordverdächtige Steuer- und Abgabenquote von 44 Prozent muss kontinuierlich und deutlich sinken“. Wenn Österreich die notwendigen Erneuerungen durchführe, „dann können auch wir wieder zu den Besten gehören“.

Rudolf Kemler, Chef der Staatsholding ÖIAG, plädiert für ein „partei- und interessensübergreifendes Commitment mit dem gemeinsamen Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs weiter zu verbessern“. Die wichtigsten Stellschrauben aus seiner Sicht: „Forcierung von Innovation, Stärkung von Entrepreneurship und ein unternehmens- und industriefreundliches Klima.“ Der globale Wettbewerb „macht nicht an unseren Grenzen halt. Wir dürfen uns nicht auf den Leistungen der Vergangenheit ausruhen, sonst verpassen wir den Anschluss an die Zukunft.“

Teures Österreich

Dass Österreichs Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren gelitten hat, ist kein latentes Bauchgefühl, sondern wird von Ökonomen mit harten Fakten belegt. Ein Beispiel dafür sind die Lohnstückkosten. So sind zwischen 2008 und 2012 die Arbeitskosten in den heimischen Bereichen Industrie, Baugewerbe und Dienstleistungen um 15,5 Prozent gestiegen. Dieses Plus konnte durch höhere Produktivität bei Weitem nicht wettgemacht werden. Machte unter dem Strich eine Verteuerung der Lohnstückkosten von 9,3 Prozent. In Deutschland lag dieser Wert bei neun Prozent, im Durchschnitt der Eurozone überhaupt nur sechs Prozent.

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„Hier muss die neue Regierung vorrangig ansetzen und die Lohnnebenkosten senken“, sagt Peter Brezinschek, Chefanalyst in der Raiffeisen Bank International (RBI). Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gehört für ihn aber auch, dass die Gewerbeordnung entrümpelt wird und dass Unternehmensgründungen erleichtert werden.

Im Wettbewerb steht Österreich aber auch bei der Lohn- und Einkommensteuer. Den Eingangssteuersatz von 36,5 Prozent betrachtet Brezinschek „als arbeitsplatzfeindlich“, ein Absenken auf 20 bis 25 Prozent sei dringend nötig. Genauso dringend sei aber auch ein Absenken der Steuer für Besserverdiener. Statt 50 Prozent ab 60.000 Euro sollte diese Grenze auf 100.000 Euro angehoben werden. Zum Vergleich: In Deutschland ist der Höchstsatz von 42 Prozent ab 250.000 Euro Einkommen fällig. In vielen Schweizer Kantonen macht der Grenzsteuersatz weniger als 38 Prozent aus.

Für die Steuersenkung, die die SPÖ ab 2015 versprochen hat, wird es eng: In Österreichs Staatshaushalt gibt es keinen Spielraum für Geschenke. Das lässt sich aus dem Budgetabschluss 2012, den die Statistik Austria und der Rechnungshof am Montag veröffentlicht haben, ablesen.

Das Defizit blieb mit –2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) gegenüber dem Vorjahr gleich hoch. Der Plan sieht vor, dass Österreich die Sparanstrengungen in den nächsten Jahren verschärft: Sonst würde das 2016 angepeilte Nulldefizit verpasst.

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Die Schulden sind weiter gestiegen: Im Laufe des Vorjahres kamen 9,5 Mrd. Euro dazu. Österreichs Staatshaushalt stand somit Ende 2012 mit 227,2 Mrd. in der Kreide – das waren 74 Prozent des BIP. Trotz des historischen Zinstiefs sind dadurch die Zinskosten gestiegen: 8 Mrd. Euro musste Österreich aufwenden, nur um finanzielle Altlasten zu bedienen.

Ausgerechnet der Bund verfehlte 2012 mit –2,61 Prozent Defizit die Vorgabe des internen Stabilitätspaktes (erlaubt wären nur –2,47 Prozent). Länder und Gemeinden erreichten die Vorgaben.

Besonders ins Geld gingen 2012 die Bankenhilfen für die Hypo Kärnten, die Kommunalkredit-Bad-Bank und ÖVAG. Kosten von 1,9 Mrd. standen Einnahmen von 513 Mio. aus Dividenden und Haftungsentgelten der Banken entgegen. Stark gestiegen auf 7,1 Mrd. Euro sind die Kosten für Schulen (plus 6,2 Prozent) und die Ausgaben für Beamtenpensionen (plus 11,6 Prozent).

Die Steuern und Abgaben erreichten 2012 einen Anteil von 49,2 Prozent des BIP – so hoch lagen sie zuletzt 2004.