Wirtschaft

Stoff & Fleisch: "Qualität ist alles"

Freie Zeiteinteilung und hoher Verdienst: Ist das nicht das Unternehmerbild in den Köpfen der Österreicher? Der KURIER traf zwei innovative Selbstständige zum "Reality Check": "Mit einem eigenen Geschäft ist es mit der freien Zeiteinteilung vorbei", sagt der Fleischermeister Johannes Gugerell aus Aspang. Seine Arbeitstage beginnen lang vor dem Morgengrauen und enden am späten Abend mit der Buchhaltung. Die Wiener Modedesignerin Marina Sagl ergänzt: "Wer innovativ sein wird, arbeitet eigentlich ständig. Wenn man das nicht liebt, ist es Qual."

Dumpingpreise

Beide haben sich auf hohe Qualität spezialisiert, "immer wach sein" (Sagl) ist ihr Prinzip. Mit den Dumpingpreisen der großen Ketten kann man sowieso nicht mithalten: "Um den Preis einer heftig beworbenen H&M-Bluse von 9,90 Euro kann ich nicht einmal einen Meter Stoff kaufen", sagt Sagl, die unter dem Label "Veni Creatrix" firmiert (www.venicreatrix.com). Nein, für Schnäppchenjäger sind beide nicht die erste Adresse, auch wenn Gugerells Bonuskarten bei den Kunden gut ankommen.

Seine Marktlücke: Immer mehr Kunden wollen Fleisch von Tieren, die aus der Region stammen und – bis zuletzt – gut gehalten sind. "Kein Stress ist der Hauptfaktor für Fleischqualität", sagt Gugerell. Er verkaufe keine Massenware, schlachtet selbst bzw. lässt in der Umgebung in kleinen Höfen schlachten.

"Was wir in der Berufsschule gelernt haben, war eigentlich eine Katastrophe"


"Was wir in der Berufsschule gelernt haben, war eigentlich eine Katastrophe", sagt der Fleischer: "Schneller, rationeller, billiger, uniform – mit Farb- und Geschmacksstoffen." Jetzt gehe der Trend in die andere Richtung. Die Wurst, die er selbst erzeugt und die zu seinem Kerngeschäft zählt, schmeckt besonders. Extrawurst isst er selbst übrigens besonders gern. Wie bitte, sind da nicht nur Fleischabfälle und Mehl drinnen? "Nein, sie hat einen schlechten Ruf, ist aber ein hochwertiges Produkt", sagt er und setzt nach: "Ich schicke Ihnen mein Rezept." Mit Genugtuung beobachtet er, "dass das Maggi, das früher auf jedem Gasthaustisch stand, fast verschwunden ist."

Beide wollen den Trend zur Qualität nutzen, auch wenn Gugerell als Landfleischhauer nicht nur von der Elite leben kann. Und während man in der Stadt für individuell gekochte Fertiggerichte mehr zu zahlen bereit ist, heiße es am Land eher: "Selbst gekocht – das muss billig sein." Profitabel sind seine Menüs aber trotzdem. Gugerell bietet den Kunden Klassisches: Gulasch, Leberknödel. Wer koche schon für einen Zwei-Personen-Haushalt so ein Gericht? "Das wird nix."

Maßarbeit

Das Geschäftsmodell hat sich für beide Branchen radikal gewandelt. Keiner habe mehr Zeit zum Shoppen oder Kochen, sagt Sagl. Ihre Mode beschreibt sie so: "Klarer, markanter Stil, erstklassiges Handwerk, und ein Bewusstsein für Frauen, die im Beruf stehen". Die halbfertigen Modelle werden den Kundinnen "individuell auf den Leib geschneidert". Trotzdem sollen die Couture-Stücke leistbar bleiben.

Sagl ist Quereinsteigerin, eigentlich ausgebildete Bürokauffrau, "die beste Voraussetzung zur Gründung eines Labels", schmunzelt sie. Den ersten Store eröffnete sie 2006 im achten Bezirk in Wien, jetzt ist sie noch in der Porzellangasse, und bald nur mehr im Webstore. Ein Gedanke, der mit der schweren Erkrankung ihres Mannes kam. "Da fällt einem plötzlich messerscharf auf, wie unglaublich viel Arbeit in der Firma steckt." Das Schwierigste sei immer gewesen: "Wo krieg’ ich einen guten Stoff her?" Es gebe keine Stoffhändler mehr. Der einzig verbliebene in Wien sei geizig mit Rabatten. Dass sie schuldenfrei sei, liege nur an ihrem Geschick und teils unorthodoxen Methoden bei der Materialbeschaffung.

"Wo krieg’ ich einen guten Stoff her?"


Während Sagl ihre Firma im Wesentlichen nur mit ihrem Mann Chris Rauchenwald betreibt, hat Gugerell neun Mitarbeiter – das könnte sich kaum ein österreichischer Designer leisten, sagt Sagl. Bei aller Lust am Arbeiten – gequält fühlen sich beide von den bürokratischen Auflagen, die vor allem bei Fleisch exorbitant sind. Das reicht vom Einkaufsprotokoll über die Hygienekontrolle bis zur künftigen haarkleinen Allergen-Kennzeichnung für Lebensmittel. Vor allem Letzteres regt die Branche derzeit ziemlich auf.

Und was bringt die Zukunft? Beide haben einen Internet-Auftritt und sind auf Facebook sehr aktiv – auf diese Weise stellten sie auch den Kontakt zum KURIER her. "Die Welten driften auseinander", meint Sagl: Hier Leute, die ausschließlich auf den Preis achten. Und dort der Markt für hochpreisige, qualitätsvolle Nischenprodukte. Künftig wird sie auf "Private Shopping" setzen und auf Wunsch auch ins Haus kommen. Für ihren Kollegen ist der Trend zu Hauszustellung, Onlinehandel und (zeitlich begrenzten) Pop-up-Stores schwerer verwirklichbar. Denn bei Fleisch sind Hygiene und Kühlung das Um und Auf.

Marina Sagl

Sie entwirft Mode und Schmuck unter dem Label "Veni Creatrix", bisher im Shop, künftig ausschließlich im Web. Sagl legt auf hohe Handwerkskunst Wert – etwa auf plissierte Stoffe (Bild) – aber auch auf Praktikabilität: Die Kleider verknittern nicht im Businesskoffer.

Johannes Gugerell

Am Hauptplatz in Aspang betreibt der Fleischer das 1936 gegründete Geschäft in dritter Generation. Gugerell schlachtet noch selbst – eine Seltenheit in der Branche. Er setzt auf Individualität, produziert Wurst und Schinken, verkauft aber auch Fisch und Fertigmenüs.