Wirtschaft

Piketty: "Ich will Reichtum besser verteilen"

Korea war schon dran, demnächst geht es nach China. Vor dem Abstecher zur Frankfurter Buchmesse sprach der KURIER mit dem neuen französischen Ökonomie-Superstar Thomas Piketty (43). Am 10. Oktober erscheint sein Bestseller auf Deutsch.

KURIER: Warum ist soziale Ungleichheit ein Problem?

Thomas Piketty: Alles eine Frage des Maßes. Eine gewisse Ungleichheit ist als Anreiz sicher nötig. Aber sobald sie exzessiv wird, schadet das dem Wachstum mehr, als es nützt. Die Ungleichheit baut sich über Generationen auf und reduziert die Aufstiegschancen.

Ihre These ist, dass Erbschaften und Vermögen mehr Ertrag abwerfen, als sich mit Arbeit erwirtschaften lässt.Die Ungleichheit nimmt demnach zu ...(unterbricht)

Moment, ich sage nicht, dass die Ungleichheit ewig zunehmen wird. Irgendwo wird sie stoppen, aber das Niveau wird umso höher sein, je größer diese Differenz ausfällt.

Die Kapitalrendite nach Steuern war im Zeitraum 1913 bis 2012 aber sogar niedriger als die globale Wachstumsrate (siehe Grafik unten). Ein Beweis, dass Umverteilung durch Steuern funktioniert?

Ja, natürlich. Deshalb schlage ich ja auch eine stärkere Form der Umverteilung vor.

Es widerspricht aber Ihrer These. Und wenn die Umverteilung funktioniert, warum braucht es dann neue Vermögenssteuern?

Vorsicht, bei diesen Zahlen sind nicht nur Steuern abgezogen, sondern auch die Vernichtung von Kapital, sei es durch hohe Inflation oder physische Zerstörung. Die Vermögen sind nicht stärker gewachsen, weil in diesen Zeitraum die Weltkriege zwischen 1914 und 1945 fallen.

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Das erklärt aber noch nicht, warum die Weltwirtschaft auch von 1950 bis 2012 stärker gewachsen ist als der Kapitalertrag.

Die Wachstumsraten waren von 1950 bis 1980 extrem hoch. Das wird nicht wiederkehren. Ungefähr die Hälfte des Wachstums geht auf das Konto der Bevölkerungszunahme, die sich laut UN-Projektionen auf Null verlangsamen wird. Ich beschreibe nur, was wir heute wissen.

Warum wird die Schere der Einkommen und Vermögen im 21. Jahrhundert so stark aufgehen?

Der Wettbewerb um Unternehmen und Investitionen macht es viel schwieriger, Kapital und Gewinne zu besteuern. Seit 1950 bis 1990 sind die Steuersätze im Durchschnitt von 50 auf 20 Prozent gefallen. Und selbst das ist schwer aufrechtzuerhalten. Ich dränge deshalb, dass in Steuerfragen global zusammengearbeitet wird.

Die OECD und die G20 versuchen gerade, das zu koordinieren. Was halten Sie davon?

Bisher wurde nur geredet, nicht gehandelt. Kleine Fortschritte gibt es beim automatischen Informationsaustausch von Bankdaten, aber auch nur, weil die USA Sanktionen gegen Schweizer Banken verhängt hatten. Deprimierend, dass Europa von sich aus nichts zustandebringt.

Die Österreicher hängen sehr am Bankgeheimnis. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich bin gar nicht so sicher, dass jeder daran hängt. Warum reiche Österreicher für die Geheimhaltung sind, kann ich mir denken. Und das sind oft einflussreiche Personen in Politik und Medien. Jedes Land will eine kleine Steueroase sein und eine Nische im Weltkapitalmarkt besetzen. Die Versuchung, reiche Oligarchen aus Russland und dem Nahen Osten anzuziehen, ist groß. Kollektiv ist die Strategie aber absurd. Wir brauchen Steuern, um in Bildung und Innovation zu investieren. Nur das bringt uns Wohlstand.

Sie schlagen eine Art "Robin-Hood-Steuer" für hohe Vermögen vor. Dabei bringen wir nicht einmal eine Finanztransaktionssteuer (FTS) zustande.

Die FTS ist sogar komplizierter. Fast jedes Land kennt seit zwei Jahrhunderten Grund- oder Immobiliensteuern. Die müssen wir auf die modernen Formen des Reichtums abstimmen. Das ist weder neu noch eine utopische Robin-Hood-Steuer.

Wie soll das klappen?

Die EU verhandelt doch mit den USA den Handels- und Investitionspakt (TTIP). Darin könnten wir Steuertransparenz und ein grenzüberschreitendes Register für Finanzvermögen verankern. Bei TTIP sitzt die Hälfte der Weltwirtschaft am Tisch. Wenn wir da nichts erreichen, wo dann?

Sind Sie denn für TTIP?

Ich bin für freien Handel. Jetzt gäbe es die historische Chance, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Globalisierung und freier Handel mit Steuergerechtigkeit vereinbar sind. Die Bevölkerung hat es satt zu lesen, dass Google oder andere Multis keine Steuern zahlen – oder zumindest weniger als kleine und mittlere Unternehmen. Das ist verrückt und ökonomisch ineffizient. Multis und Milliardäre müssen zumindest so viel zahlen wie der Rest der Gesellschaft. Das sagt doch der Hausverstand.

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Funktioniert die Millionärssteuer von 75 Prozent auf hohe Einkommen in Ihrem Heimatland?

Ich war dagegen, das war eine schlechte Idee. Frankreich ist zu klein, da braucht es die Zusammenarbeit der EU oder Eurozone. 75 Prozent ist außerdem wirklich viel. Präsident Hollande wollte mit dem Symbolakt eine ambitionierte Steuerreform vermeiden.

Alleingänge sind heikel: Gilt das nicht auch für eine Vermögenssteuer in Österreich?

Das ist was anderes. In Großbritannien hat die (konservative) Tory-Regierung jene Steuer auf Immobilientransfers angehoben, die Labour eingeführt hatte. Quasi ein Parteienkonsens von links und recht. Warum sollte das in Österreich nicht möglich sein?

Die reale Steuerlast in Österreich liegt weit über 50 Prozent. Wie viel Steuer ist zu viel?

Oh, da würden Sie mich völlig falsch verstehen. Ich will die Gesamtsteuerlast keinesfalls erhöhen, sondern im Gegenteil die Steuern für die breite Bevölkerung senken! Gerade gering qualifizierte Arbeit besteuern wir viel zu hoch.

Österreich plagt sich, um fünf Milliarden für eine Entlastung zu finden. Die Erfahrung zeigt: Steuern werden selten abgeschafft.

Okay, daran bin aber nicht ich schuld (lacht). Schieben Sie mir nichts unter, was ich nie behauptet habe.

Tue ich nicht, aber es ist einfach die politische Realität.

Stimmt nicht. Wir können Steuern auch senken. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Steuereinnahmen in den meisten Ländern stabilisiert. Wenn diese schon 50 Prozent des BIP ausmachen, will sie niemand auf 60, 70 oder gar 80 Prozent anheben. Die Aufgabe ist, das Steuersystem neu zu organisieren.

Nur fünf Prozent der Österreicher haben Aktien. Wäre es sinnvoll, wenn mehr Menschen am Kapitalertrag partizipieren?

Genau darum geht’s: Reichtum besser zu verteilen. Man hält die Steuereinnahmen konstant, aber legt sie so um, dass 90 Prozent der Bevölkerung weniger zahlen – und in Aktien investieren oder ihr Eigenheim erwerben können. Da stimme ich Ihnen hundertprozentig zu.

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Was e=m*c² für Albert Einstein, das is r > g für Thomas Piketty: Eine griffige Formel, die hängenbleibt. In seinem Buch schließt der französische Ökonom anhand von Vermögensdaten, die mehrere Jahrhunderte und etliche Länder abdecken, dass die Kapitalgewinne (r) in der Regel höher sind als das Wachstum der Weltwirtschaft (g). Im 20. Jahrhundert treffe das durch die Kriege und das hohe Wachstum zwar nicht zu (siehe Interview). Im 21. Jahrhundert werde die Konzentration der Vermögen aber bedrohlich zunehmen, warnt der Professor an der Paris School of Economics. Das könne extreme Ungleichheit hervorbringen und den sozialen Frieden gefährden. Pikettys Vorschlag: Eine jährlich erhobene progressive Steuer auf das Gesamtvermögen, also auf Immobilien, Finanzwerte und Betriebskapital – 0,1 bis 0,5 Prozent auf Vermögen unter einer Million Euro, 5 bis 10 Prozent bei Reichtümern von hunderten Millionen Euro.

Die englische Ausgabe "Capital in the 21th century" erschien im März und löste einen Riesenhype aus - sie verkaufte alleine rund 450.000 Exemplare (inkl. eBooks). Mittlerweile sind rund 15 Übersetzungen des Bestsellers lizenziert, an die 30 Sprachen sind geplant. Die deutsche Fassung erscheint am 10. Oktober im Verlag C.H.Beck, 816 Seiten, 30,80 € bzw. 24,99 € (eBook)

Kaum ein Buch wird derzeit so heftig diskutiert wie jenes "Das Kapital im 21. Jahrhundert", in dem der französische Ökonom Thomas Piketty darlegt, dass man nur durch Erben, nicht durch Arbeit zu Reichtum gelangen kann, da der Zinssatz auf Vermögen (in Pikettys Formel mit "r" bezeichnet) langfristig größer ist als das Wirtschaftswachstum ("g"). Mit der Formel r > g gelang es Piketty, eine weltweite Debatte über Verteilungsgerechtigkeit anzustoßen. Er wird als "der neue Marx" gefeiert, erntet aber auch Kritik hinsichtlich der Seriosität seiner Zahlen. "Das Buch ist polemisch, aber in dem Fall trifft es einen bedrückenden Punkt", befand auch Hans-Peter Haselsteiner jüngst im KURIER-Interview.

Auf Deutsch erscheint der Wirtschaftsbestseller erst im Oktober 2014 (Link zur Verlagsseite). Wir haben uns daher erlaubt, einige Passagen vorab zu übersetzen und sie mit Gedanken des – wenn man so will – geistigen Ziehvaters zu vermischen. Können Sie die Zitate dem jeweiligen Schöpfer zuordnen? Wer hat's gesagt – Karl Marx oder Thomas Piketty?

Das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) könnte scheibchenweise kommen: Strittige Themen sollten ausgeklammert und später in Angriff genommen werden, lautet ein Vorschlag der italienischen EU-Ratspräsidentschaft. Stattdessen sollen Teilabkommen jene Bereiche festzurren, über die Einigkeit herrscht. Das soll Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen, sagte Italiens Vizeminister für Außenhandel Carlo Calenda laut Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Idee soll am 14. Oktober in Rom bei einem informellen EU-Ministertreffen diskutiert werden.

Laut Calenda besteht weitgehende Einigkeit über den Abbau von Zöllen und die Öffnung der staatlichen Ausschreibungen in den USA, zumindest auf nationaler Ebene, für Bieter aus Europa. Beide Seiten könnten den Energiemarkt öffnen. Einig seien sich auch Verbandsvertreter der Automobilbranche, Chemie, Pharmaunternehmen, Kosmetik, Medizintechnik sowie Textil und Bekleidung.

Hingegen gebe es „große kulturelle Differenzen“ etwa bei den Nahrungsmitteln, mit den Vorschriften für Herkunft und Lebensmittelsicherheit. Mit einer Aufsplittung ließen sich die Debatten über Chlorhühner, französische Empfindlichkeiten beim Thema Kultur und Gegensätze bei Finanzdienstleistungen loswerden, so Calenda.